
Vertan mit dem Hahn
Beim Crowdfunding für einen innovativen Wasserhahn fließt kaum Geld? Abhaken, weitermachen, sagt Dr. Anne Völkel vom VOSS Incubator
Noch existiert die Seite in den unendlichen Weiten des weltweiten Netzes. Doch sie ist verwaist. Traffic findet nicht mehr statt. Zwei Zahlen, die dem einzelnen Besucher sofort ins Auge springen, stehen für das Scheitern eines ambitioniert gestarteten Versuchs: nur 4.541 Euro wurden gesammelt. Angestrebt war mehr als das 50-fache. Und nur 61 Unterstützer hatten sich gefunden – Hunderte hätten es werden sollen. Die Seite befindet sich auf einer Plattform, mit der Unternehmen, vor allem Start-ups, mittels Crowdfunding das nötige Kapital zur Realisierung einer Idee zusammenbekommen möchten. Zugleich kann die Plattform als Messinstrument dienen: Wie viele Menschen zeigen sich angetan von dem neuen Produkt? Der geplanten Dienstleistung? Natürlich hofft man auf ein positives, vielleicht sogar begeistertes Feedback.
So war es auch bei Dr. Anne Völkel, Innovationsmanagerin beim VOSS Incubator. Diesem Innovation Lab am RWTH Aachen Campus geht es laut Eigenbeschreibung darum, „innovative Produkte unter der Betrachtung von ökonomischen und ökologischen Randbedingungen zu entwickeln“. So sollen Ideen für künftige Geschäftsbereiche der VOSS Automotive GmbH, ein Mitgliedsunternehmen der IHK, entstehen. Der Startschuss für den Incubator fiel im Jahr 2019. Im Rahmen eines Workshops entwickelte das ganze Incubator-Team inklusive der Entwicklungsabteilung von Voss mit externer Hilfe vom Invention Center die Vision eines smarten Perlators für Wasserhähne. „Er sollte im Sinne der Nachhaltigkeit die verbrauchten Wassermengen und Wärmeenergien messen und zur Einsparung dieser kostbaren Ressource beitragen“, erklärt die Innovationsmanagerin die Idee. Sogar ein „Challenge System“ per App war angedacht. Nach dem Motto: „Du verbrauchst mehr als der Durchschnitt. Willst du das nicht ändern?“
Mutig und in Eigenregie
Die große Herausforderung bestand darin, dass der Automobilzulieferer VOSS auf keine Erfahrung mit Haushaltstechnik zurückgreifen konnte. Außerdem sollte der „VLOW“ direkt an Endkunden verkauft werden. „B2C [Business-to-Consumer] ist für uns noch ein fremdes Terrain“, sagt Völkel. So ging es einerseits darum, die eigenen Entwicklungskosten möglichst gering zu halten und zugleich valide Informationen über das Marktinteresse einzuholen. Die zweifache Lösung schien im Crowdfunding zu liegen. „Von uns hatte das noch keiner ausprobiert“, erzählt die Ingenieurin. „Aber wir sind die Kampagne mutig und in Eigenregie angegangen.“ Zunächst sollten auf diese Weise 400.000 Euro durch Spenden generiert werden. Als „Dankeschöns“ für die Geldgeber waren marktreife „VLOWs“ vorgesehen. Doch schnell musste die Verantwortliche feststellen, dass sie offenbar das falsche Instrument gewählt hatte. „Es war eher eine Community-Plattform mit Marketingstrategie“, sagt sie heute. Die Kampagne sollte einen Monat laufen, doch bereits nach wenigen Tagen war klar, „dass das nichts wird“. Die Zahlen waren einfach zu niedrig. Auch eine Reduzierung des Zielbetrags auf 280.000 Euro brachte keinen Erfolg. Die Folge: „Wir haben die klare Entscheidung getroffen, dass wir diese Idee nicht weiter verfolgen werden.“ Der VLOW hat es also nicht geschafft.
Von der Festlegung des Produkts Anfang 2020 bis zum Online-Gang waren zehn Monate vergangen. Völkel und ihre Mitstreitenden hatten jede Menge Zeit und Hirnschmalz umsonst investiert. Umsonst? Nicht ganz, findet die Innovationsmanagerin. „Wir haben daraus auf jeden Fall etwas gelernt.“ Nun ist man dabei, eine ganz neue Strategie zu entwickeln. „Es macht grundsätzlich vielleicht mehr Sinn, die Sache mit einem Hersteller-Partner anzupacken.“ Bei einem neuen Projekt, ein elektrischer Rollator, geht das Team bereits so vor.
Dr. Anne Völkel blickt ohne Frust auf den geplatzten „Testballon“ zurück.
„Natürlich ist es immer schade, wenn aus der eigenen Idee nichts wird. Doch dann heißt es: Ressourcen bündeln und was Neues ausprobieren!“
Scheitern von Start-ups – ein Tabuthema?
Professor Malte Brettel, Inhaber des Lehrstuhls für Innovation und Entrepreneurship an der RWTH, sagt im Interview mit der IHK Aachen, das Scheitern gehöre dazu. Aber ist es denn noch ein Tabuthema?
Professor Malte Brettel: Das ist tatsächlich eine Frage des Klientels. Existenzgründer, die beispielsweise eine Bäckerei aufmachen, wissen, wie sie das anstellen müssen und welchen Kundenkreis sie haben. Wenn ich dann scheitere, dann habe ich wahrscheinlich auch ein bisschen was falsch gemacht. Wenn ich ein Medizintechnik-Unternehmen gründe – und das ist ja eher mein Gründer-Klientel an der RWTH – dann funktioniert vielleicht der Prototyp und mein Geschäftsmodell im Kleinen, aber im Großen nicht mehr. Das ist relativ normal. Wenn so eine Gründung dann scheitert, muss man einfach sagen: Das ist dann so, das ist Teil des Geschäfts. Deswegen würde ich da differenzieren.
IHK: Wann spricht man von Scheitern – wenn das Geschäftsmodell nicht aufgeht oder scheitert ein Unternehmen erst, wenn es ganz aufhört? Wo ziehen Sie da eine Grenze?
Brettel: Das ist eine interessante Frage. Es gibt Geschäftsmodelle, von denen man liest, dass sie nicht funktionieren können, weil sie nicht profitabel genug sind. Was ich spannend fand, ist das Start-up Outfittery, bei dem Männer ganze Outfits zur Verfügung gestellt bekommen. Wer weiß schon wirklich, ob das profitabel sein kann? Die Margen im Bekleidungsmarkt sind da, aber sind wir Männer wirklich bereit, dafür zu zahlen, dass wir ganze Outfits zugeschickt bekommen, oder gehen wir dann doch wieder ins Bekleidungsgeschäft? Und, wenn man das nicht weiß, muss man es testen. Das Start-up Outfittery war nun sehr erfolgreich und konnte seine Idee nun sogar auf Frauen ausweiten. Die Frage ist aber, wie lange muss man ein Geschäftsmodell testen, um zu wissen, ob es funktioniert oder nicht? Mein Eindruck ist, dass viele Unternehmen zu lange an einer Idee festhalten, bis sie sehen: Das lasse ich mal lieber sein. An der Stelle scheitern wir dann eher zu spät als zu früh.
IHK: Warum ist das so?
Brettel: Grundsätzlich gibt es in Aachen und um Aachen herum eine leichte Tendenz, im ingenieursgeprägten Bereich bis zum Ende zu tüfteln. Das muss bei neuen Technologien auch manchmal sein, weil der erste Ansatz oder das erste Experiment nicht funktioniert. Aber viele brauchen dafür zu lange und vergeuden dann eher wertvolle Lebenszeit.
IHK: Warum ist es notwendig, dass wir das Thema aus der Tabuzone holen?
„Wir brauchen ein größeres Selbstverständnis, mit dem Misserfolg umzugehen, auch anderen Menschen gegenüber.“
Brettel: Bei mir ist es ja auch so: Ich habe Unternehmen gegründet und Unternehmen mitfinanziert, und manche davon sind auch pleite. Das gehört einfach dazu, das hat dann einfach nicht so funktioniert, wie man sich das vorgestellt hat. Wenn eine Technologie mal nicht funktioniert, dann ist das einfach so. Dann verliert man zwar Geld und auch Zeit, die man hineingesteckt hat, damit muss man in so einem Bereich aber einfach leben. Weil im umgekehrten Fall – da muss man auch ehrlich sein – hat man natürlich einen relativ hohen Erfolg, auch einen finanziellen.
Weitere Informationen
Das ausführliche Interview mit Herrn Professor Brettel

– Autor*innen: Daniel Boss, Anja Nolte