
Vliesstoffe und Papier sind das Blech der Zukunft!
Eine Vision des Instituts für Textiltechnik der RWTH Aachen
Die Nachhaltigkeit unserer Produkte und Prozesse sowie der damit verbundenen Lieferketten ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus gerückt. Unternehmen und Forschende suchen weltweit nach innovativen Lösungen, um ressourceneffiziente und umweltfreundliche Materialien zu entwickeln. Die Natur zeigt seit jeher, wie beständige und gleichzeitig leichte Strukturen geschaffen werden können. Der Schlüssel liegt dabei in der Nutzung von Fasern, mit denen Pflanzen und anderen organischen Strukturen durch die optimale Kraftleitung hohe Festigkeit und gleichzeitig Flexibilität verliehen wird.
Der Mensch nutzt bisher nur einen Bruchteil dieses Potenzials! So haben industrielle Werkstoffe im Schnitt oft nur einen Faseranteil von rund 10 %. Es besteht also erhebliches Potenzial, den Faseranteil in modernen Werkstoffen zu erhöhen und so effizientere, leichtere und umweltfreundlichere Materialien zu entwickeln.
Naturfasern und Fasern natürlichen Ursprungs als Schlüsselrolle
Eine Schlüsselrolle spielen Naturfasern, die durch ihre negative CO2-Bilanz ideal als Basis für nachhaltige Werkstoffe geeignet sind. Diese Fasern, wie etwa Flachs, Hanf oder Jute, wachsen schnell, binden während ihres Wachstums CO2 und sind am Ende ihres Lebenszyklus biologisch abbaubar. Naturfasern haben jedoch eine endliche Länge. Die Weiterverarbeitung zu Geweben oder Geflechten ist daher nur über Umwege möglich, wie z. B. die Herstellung eines Garns. An dieser Stelle kommen Vliesstoff- und Papierprozesse ins Spiel: Mit ihnen ist es möglich, diese Fasern endlicher Länge direkt und ohne aufwändige Zwischenschritte zu Flächenmaterialien zu verarbeiten.
Einsatz der Fasern
Bereits heute existieren zahlreiche Beispiele, in denen herkömmliche Verbundwerkstoffe oder metallische Bauteile durch solche aus Naturfasern ersetzt werden. In der Automobilindustrie etwa werden Flachsfasern verwendet, um leichte und gleichzeitig stabile Türträger oder Armaturenbretter herzustellen.

Ebenso werden in der Bauindustrie vermehrt Hanf- und Flachs-Dämmstoffe eingesetzt, die hervorragende thermische und akustische Eigenschaften bieten und gleichzeitig die Umwelt schonen. Ein Schlüssel ist die Kombination der Eigenschaftsprofile der unterschiedlichen Naturwerkstoffe und Verarbeitungsprozesse, um gleichzeitig funktionale sowie optisch ansprechende Produkte zu entwickeln. Gerade vor dem Hintergrund der Resilienz sind dabei vermehrt lokale Rohstoffe, wie Reststoffe aus der Agrar- oder der Lebensmittelindustrie in Betracht zu ziehen.
Nachhaltigkeit als Chance und zugleich Herausforderung
Die Herausforderungen liegen jedoch nicht nur in der Verarbeitung der Naturfasern, sondern auch in der Entwicklung von nachhaltigen Matrixmaterialien, die diese Fasern binden.
Viele der heute verwendeten Matrixmaterialien sind thermoplastisch oder duroplastisch und erschweren das Recycling. Zukünftig könnten natürliche Werkstoffe wie Lignin, Stärke oder synthetisch hergestellte, kompostierbare Polymere diese Aufgabe übernehmen.
Wichtig dabei ist, dass potenzielle Materialien nicht vorschnell ausgeschlossen werden. So sind auch zunächst abwegig scheinende Lösungen zu beforschen, wie z. B. die Verwendung eines Pilzmyceliums. Mycelium, das Wurzelgeflecht von Pilzen, wächst schnell, ist biologisch abbaubar und kann als natürliches Bindemittel in Verbundwerkstoffen verwendet werden. Diese Materialien sind leicht, feuerbeständig und bieten gute Isoliereigenschaften – ideale Voraussetzungen für den Einsatz in der Bau- oder Verpackungsindustrie.
Doch es gibt noch weiteres Potenzial für die Anwendung von Naturfasern: Im Bereich Wohnen und Innenausstattung können faserbasierte Werkstoffe nicht nur in Möbeln, sondern auch in Textilien und dekorativen Elementen eine nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Materialien bieten.

In der Mobilität ermöglichen Naturfasern eine Gewichtsreduktion, sei es in Fahrzeugen, Flugzeugen oder im öffentlichen Nahverkehr. Auch in der Freizeit- und Sportindustrie sind nachhaltige faserbasierte Materialien auf dem Vormarsch, etwa in Form von Surfbrettern oder Fahrrädern.
Eine erhebliche Hürde bei der Einführung nachhaltiger Werkstoffe und der Kreislaufwirtschaft ist zudem der damit verbundene Preis. Wenngleich Nachhaltigkeit zunehmend gefordert wird, sind Endkunden und damit auch Verarbeiter meist nicht gewillt, die damit verbundenen Mehrkosten zu tragen. Anreize sind insbesondere durch die Politik zu setzen, z. B. in Form steuerlicher Begünstigungen nachhaltiger Werkstoffe oder entsprechende Aufschläge für nicht nachhaltige Produktion. Basis dafür ist die exakte Ermittlung des CO2-Fußabdruckes sowie die Ermittlung weiterer Nachhaltigkeitskennzahlen. Die Online-Ermittlung dieser Kennzahlen im laufenden Prozess, sowie deren Kommunikation entlang der gesamten Wertschöpfungskette über z. B. den Digitalen Produktpass, ist Forschungsgegenstand mehrerer Projekte am ITA.
Das Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen positioniert sich als führende Plattform für die Entwicklung nachhaltiger faserbasierter Werkstoffe sowie dazu notwendiger digitaler Unterstützungstechnologien und Schnittstellen.
Mit den vielfältigen Versuchsanlagen im Labor- und Pilotmaßstab finden sich umfangreiche Möglichkeiten für Rapid Prototyping neuer Werkstoffe und Produkte.
Das Institut unterstützt damit Lieferanten, Produzenten und Anwender entlang der gesamten textilen Wertschöpfungskette. Als kompetenter Ansprechpartner fördert es die Entwicklung innovativer Materialien und trägt aktiv dazu bei, nachhaltige Lösungen in die Praxis umzusetzen. So werden Vliesstoffe und Papier nicht nur zu den Flächenwerkstoffen der Zukunft, sondern auch zentraler Baustein für nachhaltige ökologische und ökonomische Konstruktionswerkstoffe.
– Autoren: Christian Möbitz, Thomas Gries