RWTH-Alumnus und Künstler Marcel Odenbach ist Collagist und einer der drei international anerkanntesten deutschen Videokünstler.
Albrecht Fuchs/Marcel Odenbach, Köln, 2014/Courtesy Galerie Gisela Capitain, Köln

„Alles, was populistisch ist, langweilt mich.“

RWTH-Alumnus Marcel Odenbach und die Kunst der Auseinandersetzung

„Wie kann es eine Auseinandersetzung mit den Themen geben, die momentan wieder im Untergrund schwelen, wie kann ich diese abfedern, was daraus lernen oder zukunftsweisend sein?“, so beschreibt RWTH-Alumnus Marcel Odenbach (71) das Ziel, das er mit seinen Kunstwerken verfolgt.

Odenbach ist Collagist und einer der drei international anerkanntesten deutschen Videokünstler. Er wird auch als Pionier der deutschen Videokunst bezeichnet. Zu dieser kam der gebürtige Kölner an der RWTH, an der er von 1974 bis 1979 Architektur, Kunstgeschichte und Semiotik studierte. Im Semiotik-Studium – die Wissenschaft der Zeichensysteme – wurde das Video als Mittel eingesetzt, um mit Bürger*innen in Kontakt zu treten. „Das hat mich damals sehr stark beeinflusst und das war einer der entscheidenden Momente, die dazu führten, dass ich mich als Künstler auch für Video interessiere.“ Und das erfolgreich: Odenbachs Werke (sowohl Collagen als auch Videokunst) werden nicht nur auf der ganzen Welt ausgestellt, er hat außerdem zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhalten. Zuletzt wurde Odenbach für seine „Schnittvorlagen“ mit dem Wolfgang-Hahn-Preis im Gesamtwert von 100.000 Euro der Gesellschaft für Moderne Kunst am Kölner Museum Ludwig ausgezeichnet.

Marcel Odenbach. Garten bevölkert von Chimären. 2022. Collage, Fotokopien, Bleistift, Tinte auf Papier. 200 x 150 cm.
Simon Vogel/Courtesy Galerie Gisela Capitain, Köln

Die Auseinandersetzung mit komplexen, vielschichtigen Themen durch Kunst

Aber was beschäftigt solch einen bekannten Künstler eigentlich und was sind die Inhalte seiner Kunst? „Für mich war immer das Leben und die Beschäftigung mit anderen Kulturen und sogenannten fremden Ländern sehr wichtig, um zu sehen: Wer bin ich eigentlich?“, erklärt Odenbach. Die Themen seiner Kunstwerke sind insbesondere der Kolonialismus, die Sklaverei und Rassismus – komplexe Themen, die auch heute gesellschaftlich „im Untergrund schwelen“ und immer wieder aktuell werden. „Ich habe eine Zeitlang geglaubt, dass durch eine Thematisierung dieser Themen diese auch mal vorbei sein würden, aber das ist eine große Illusion gewesen. Wir sehen es ja gerade, es kommt alles wieder zurück. Ich hätte nicht geglaubt, dass es in Europa noch einmal Krieg geben würde.“ Populistische Aussagen bei diesen komplexen, vielschichtigen Themen kann er nicht leiden. „Alles, was populistisch ist, langweilt mich.“

Durch Kunst Auseinandersetzung mit großen und komplexen Themen schaffen – das ist, was Marcel Odenbach jeden Tag tut. Seine aktuellen Collage-Werke entstehen aus den sogenannten Schnittvorlagen, „Matrizen oder Vorbilder“. Diese werden immer wieder für neue Arbeiten genutzt.

„Eigentlich ist die Idee der Schnittvorlage sehr nachhaltig, weil ich sie immer wieder verwerten und in einen anderen Kontext setzen kann.“

Manche Werke brauchen zwei, andere sieben Monate bis zur Fertigstellung. Die Vorlagen entstehen aus Bildern aus Zeitschriften, Postkarten, sämtlichem Papiermaterial, das Odenbach findet. Das Material wird dann kopiert und eingefärbt, um eine Schnittvorlage zu werden. Ein aufwändiger Prozess. „Ich sage immer, es ist ein bisschen neurotisch“, lacht Odenbach. Er zeigt uns, dem Alumni-Team, während des Gesprächs ein Beispiel für Material, das er für neue Collagearbeiten verwendet: „Das fand ich unglaublich. Das ist ein Foto eines Strandes in Ghana. Aus alten Computern und Fernsehern wurden da Wellenbrecher gebaut, was natürlich die Absurdität schlechthin ist, da so das Wasser versaut wird. Es ist aber unsere Schuld, dass das Wasser steigt und es ist auch unser Abfall. Das ist das Dilemma, das im Moment in Afrika herrscht.“

Simon Vogel/Courtesy Galerie Gisela Capitain, Köln
Simon Vogel/Courtesy Galerie Gisela Capitain, Köln

Komplexe Themen verarbeitet Marcel Odenbach aktuell nicht nur in Collagen, sondern auch in der Videokunst. Im April 2024 fing er an, eine Videoarbeit zu Paul Schultze-Naumburg – einem NS-Architekten, Kunsthistoriker und Mitwirkenden an der nationalsozialistischen Kulturideologie – und den Saalecker Werkstätten zu drehen. Im April 2025 wird diese Arbeit in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen sein.

Und was ist mit Lehre? „Irgendwann muss man auch mal der jüngeren Generation das Ruder übergeben. Die Corona-Zeit hat mir den Abschied emotional vereinfacht“, sagt Odenbach zu seiner langjährigen Tätigkeit als Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, die er bis 2021 ausgeführt hat. Viel Zeit für die Arbeit im Atelier bleibt allerdings dadurch nicht, neben dem Engagement an der Akademie der Künste in Berlin, der Arbeit in Jurys für Kunst am Bau und zahlreichen Ausstellungen auf der ganzen Welt. „Wie Sie mich jetzt hier erleben, im Atelier, das kommt vielleicht drei Tage die Woche vor.“

Marcel Odenbach. Deutschland im Herbst. 2019. Collage, Fotokopien, Bleistift, Tinte auf Papier. 222,5 x 151,5 cm.
Simon Vogel/Courtesy Galerie Gisela Capitain, Köln

Der erste Erfolg kam früh

Als „Bastelkind“, wie Marcel Odenbach es nennt, aus einer Architekt*innen-Familie aus Köln lag das Architektur-Studium an der RWTH in Aachen nahe. Dass er mal selbstständig Kunst machen möchte, das war ihm zu Beginn des Studiums noch nicht klar.

Das Studium wurde vor allem durch die Orientierung zum Westen und den frankophilen Einfluss geprägt, so Odenbach. „Das fand ich damals an Aachen total spannend.“

Unterstützung in seiner Kunst erhielt er durch Professor Hans Holländer († 2017) am Lehrstuhl für Kunstgeschichte. „Er hat immer gesagt, ein wirklicher Kunsthistoriker macht auch selbst Kunst“, so Odenbach. Das war die Bestätigung, die er für seine Selbstständigkeit brauchte. Der erste Erfolg kam dann sogar noch während des Studiums 1975, als er seine erste Ausstellung präsentierte. Ein paar Jahre darauf folgte das erste Stipendium. „Man muss aber auch sagen, dass die Situation damals ganz anders war als heute. Es gab sehr viel mehr Preise, Stipendien, Möglichkeiten“. Auch Einflüsse anderer Künstler*innen haben seine Werke geprägt, insbesondere die politischen Arbeiten aus den 1960er Jahren Andy Warhols gehören zu seinen Favoriten, zum Beispiel die „Thirteen Most Wanted Men“ und die Serie „Electric Chair“. Von seinen eigenen Arbeiten spricht er wie von Kindern: „Meistens ist das neue Baby das liebste und das, an dem ich emotional am nächsten dran bin. Andere Arbeiten habe ich gemacht, abgegeben und abgestoßen, wie ein Kind, das auszieht. Aber drei spezielle Arbeiten gebe ich nicht her.“

„Jede Neuerung kann eine gute Veränderung sein.“

Marcel Odenbachs Atelier sieht so aus, wie man sich den Raum einer selbstständigen kunstschaffenden Person vorstellt: Überall hängen Fotos, Zeitungsausschnitte und andere Bilder an der Wand, auf dem Boden liegt Papier und auf einem großen Schreibtisch liegen Schnittvorlagen der aktuellen Collage. Das Haus, in dem sich Odenbachs Atelier befindet, soll nächstes Jahr abgerissen werden. Aber er bleibt optimistisch: „Ich denke mir, jede Neuerung kann eine gute Veränderung sein.“

– Autorin: Siba Fitzau