Vom Stipendium bis zum nationalen Gründerpreis
Mit seiner Promotion an der RWTH legte Dr.-Ing. Mohit Raina den Grundstein für einen erfolgreichen Berufsweg in Indien
Schon recht früh, im dritten Semester seines Bachelor-Studiums der Textiltechnik in Mumbai, hatte Mohit Raina den Entschluss gefasst, seine akademische Ausbildung in Deutschland fortzusetzen. Einer seiner indischen Professoren, der früher bei einer deutschen Firma für Textilmaschinen gearbeitet hat, empfahl nämlich seinen Studierenden, nach Deutschland zu gehen, wenn sie in Maschinenbautechnik und Innovationen weiterkommen wollen. Aus Spaß hatte Raina damals sogar einen dreimonatigen Deutschkurs am Goethe-Institut absolviert. Für den Masterabschluss wechselte er schließlich an das IIT Delhli, das einzige IIT Indiens mit einer Textiltechnik-Fakultät. Im ersten Jahr am ITT Delhi schaffte er die Kurse und Klausuren gleich für zwei Jahre. Im zweiten Masterjahr bekam Mohit Raina das ersehnte DAAD-Stipendium für Deutschland.
Und aus diesem Stipendium hat sich eine erfolgreiche wissenschaftliche und unternehmerische Karriere entwickelt. Dr.-Ing. Mohit Raina, Geschäftsführer von Raina Industries, leitet nach seiner Promotion am ITA Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University in Aachen seit 2014 die ITA-Ausgründung Raina Industries Private Limited in Mumbai, Indien, die im vergangenen Jahr den renommierten indischen Gründerpreis in der Kategorie 1 „Nationale Auszeichnung für die erfolgreiche Kommerzialisierung einer einheimischen Technologie“ gewonnen hat. Das Unternehmen Raina Industries erstellt und vertreibt textilverstärkte Betonfertigteile für den Baubereich, die in hohem Maße ressourcenschonend sind, da sie den Betonverbrauch, die Energie zur Herstellung der Betonsteile und den End-of-Life-Abfall um mehr als 80 Prozent reduzieren. Das Technology Development Board (TVB), eine gesetzliche Einrichtung des Department of Science & Technology (DST) vergibt in Indien jedes Jahr anlässlich des Nationalen Technologietages am 11. Mai eine Reihe von Auszeichnungen an Industrieunternehmen. Dafür erhalten sie jeweils ein Preisgeld in Höhe von umgerechnet rund 28.000 Euro und eine Trophäe, die vom indischen Präsidenten übergeben wird. Auch in Indien ist Entrepreneurship ein Thema. Die indische Regierung fördert verstärkt Start ups mit Prorammen wie „Start up India“, um Arbeitsplätze zu schaffen. Viele junge Menschen in Indien wollen daher eigene Firmen zu gründen. Ebenso bieten die Bundesstädte sogenannte „Start up Challenges.“
Auf blindes Vertrauen nach Deutschland
Am 1. September 2005 landete Mohit Raina in Deutschland. Die RWTH hat er gewählt, da sie in der Nähe von Mönchengladbach war, das ihm als Standort für Textiltechnik und -forschung bekannt war. Zudem hatte die RWTH mit dem IIT Dehli auch eine Kooperation mit regelmäßigem Austausch von Wissenschaftler*innen. Der erste Eindruck von Deutschland war der Empfang am Frankfurter Flughafen mit einer Mitarbeiterin des International Office, die mit einem großen Auto alle DAAD-Stipendiaten für die RWTH abholte. Nach der Ankunft in Aachen gab es intensive Orientierungskurse für die DAAD-Stipendiaten. Die kulturellen Barrieren waren für den jungen Stipendiaten ziemlich schnell abgebaut.
Eigentlich wollte Raina nach seiner Masterarbeit am ITA direkt wieder zurück nach Indien und eine Firma gründen. Neun Monate Stipendienzeit in Aachen waren vorüber, doch er blieb noch ein paar Tage länger, um an der Pfingstexkursion des Studiengangs nach Dresden teilzunehmen. „Man kann sagen, dass aus diesen zehn Tagen weitere zehn Jahre geworden sind,“ bemerkt Raina amüsiert im Rückblick. Denn bei dieser Exkursion gewann er viele Eindrücke, führte viele Gespräche, die in ihm erste Gedanken an eine Promotion aufkommen ließen. Auch ein Gespräch mit Professor Thomas Gries, Leiter des ITA, klang ermutigend: „Herr Raina, irgendwann holen wir Sie zurück.“
Im Juni 2006 ging es zunächst doch zurück nach Indien, um die Masterarbeit, die Mohit Raina an der RWTH erstellt hatte, am IIT Delhi zu verteidigen. Nachdem er einige Woche nichts mehr aus Aachen gehört hatte, nahm er eine Anstellung bei einem der größten Kammgarnhersteller Indiens an. Doch am 23. September kam noch der Anruf von Professor Gries: „In einer Woche müssen Sie hier sein, am 1. Oktober geht’s mit der Promotion los.“ Innerhalb einer Woche hat Raina Visum und Reiseunterlagen zusammengestellt und flog – noch ohne gültigen Arbeitsvertrag mit dem Institut und auf blindes Vertrauen nach Deutschland. Zuvor hatte auch sein neuer indischer Arbeitgeber ihm empfohlen: Ab nach Deutschland! Noch heute hat Mohit Raina Kontakt mit ihm. „Und Meiner Mutter habe ich gesagt, dass ich drei Jahre weg bin. Daraus sind dann zehn geworden. Allerdings habe ich als Doktorand und Oberingenieur zwischendurch immer wieder Besuche in Indien gemacht.“
„Ich habe an der RWTH gesehen, wie eine Promotion gemacht wird, vor allem der Transfer in die Industrie. Ganz anders ist es in Indien, wo es nur um Grundlagenforschung ging.“
Für den Einstieg in die Promotion musste Mohit Raina noch einige Fächer belegen und sogar Klausuren schreiben. Anfangs habe er das gar nicht verstanden, aber im Rückblick sei das sehr hilfreich und wichtig gewesen, insbesondere habe er das strukturierte Lernen und Denken begriffen. Heute versucht Raina in Indien dieses seinen Mitarbeitern beizubringen: „In Indien machen wir alles und schnell. Aber es fehlt strukturiertes Denken.“ Er erinnert sich noch sehr gut an einen wichtigen Rat von Professor Gries: „Nehmen Sie zuerst ein leeres Blatt Papier und versuchen Sie zu schreiben, was Sie machen wollen. Und dann kann man weiter planen.“ Ebenso habe er sehr schnell verstanden, wie wichtig die deutsche Sprache für Integration und Identifikation sei und auch nochmal auf Deutsch Vorlesungen der Bachelorstudiengänge gehört.
„Ich habe an der RWTH gesehen, wie eine Promotion gemacht wird, vor allem der Transfer in die Industrie. Ganz anders ist es in Indien, wo es nur um Grundlagenforschung ging. Hier hat man als Doktorand mehr Freiheit, Verantwortung, Vertrauen und Kompetenz, insgesamt mehr Gestaltungsspielraum.“ Und noch etwas hat Raina an seiner Forschungsarbeit am ITA fasziniert: „In Deutschland ist vieles praxis- und anwendungsbezogen. Es ist großartig, dass ich etwas, worüber ich 2008, 2009 geforscht habe, 2019 bei einer Messe auch zeigen konnte.“
Viele Initiativen und Aktivitäten der RWTH mit Indien
Aus einem kleinen Stipendium haben sich inzwischen für Mohit Raina nicht nur hervorragende wissenschaftliche und unternehmerische Fähigkeiten und viele persönliche Verbindungen ergeben, sondern - daraus resultierend - eine große Verbundenheit mit Deutschland, der RWTH und dem vor allem dem ITA. Heute ist Raina im wissenschaftlichen Beirat sowie als Indien-Repräsentant des Instituts tätig und daher mindestens einmal im Jahr für einige Tage in Aachen. Ebenso landen zahlreiche Bewerbungen aus Indien für das ITA zunächst auf dem Schreibtisch von Mohit Raina. „Für das ITA mache ich ein kleines Assessment. Die erste Frage, die ich stelle, ist: Warum möchtest Du als junger Mensch 8.000 Meilen weg von Indien nach Deutschland gehen und dort studieren? 90 Prozent der Gefragten haben aber darauf keine Antwort. Es gibt jedoch die zehn Prozent, die genau wissen was sie wollen, also an welches Institut und zu welchem Professor.“
„Die erste Frage, die ich stelle, ist: Warum möchtest Du als junger Mensch 8.000 Meilen weg von Indien nach Deutschland gehen und dort studieren? 90 Prozent der Gefragten haben aber darauf keine Antwort.“
Im Automobilbereich und inzwischen auch verstärkt in der Textiltechnikbranche ist die RWTH in Indien bekannt. In anderen Branchen und Forschungsbereichen stoße man eher vereinzelt auf RWTH-Alumni. Die Bekanntheit der RWTH in der indischen Wirtschaft Indien sei daher recht unterschiedlich, so Raina. Er sieht aber große Chancen, diese zu verbessern: „Es gibt viele Initiativen und Aktivitäten der RWTH mit indischen Partnern, sei es das IGCS (Indo-German Center for Sustainability), die indische Studentenverbindung, die Deutsch-Indische Gesellschaft in Aachen und vor allem das RWTH-Verbindungsbüro in Delhi sowie der GIRT (German Indian Round Table) mit vielen Unternehmen.“ Erst kürzlich hat auch ein Verbindungsbüro der RWTH International Academy in Pune seine Tätigkeit aufgenommen.
Neben seinen Aufgaben als Geschäftsführer eines Unternehmens und Beratertätigkeiten für das ITA hält Mohit Raina Vorlesungen in Textiltechnik und International Business an zwei Instituten in Mumbai: „Der Austausch mit den Studenten ist wie Meditation für mich.“ Es kommen viele Fragen, die schon vor 15, 20 Jahren aktuell waren.“
Die richtige Entspannung bringt dem RWTH-Alumnus allerdings das Familienleben. Seine dreijährige Tochter zeigt bereits großes wissenschaftliches Interesse, denn jeden Sonntag freut sie sich auf das „scientific experiment“ – einfache Versuche in alltäglichen Situationen – mit ihrem Vater.
– Dietrich Hunold