Cosmic Kiss – Eine Liebeserklärung an den Weltraum
Matthias Maurer, ESA-Astronaut, im Interview mit der „keep in touch“
Nach Hans Schlegel ist er der zweite RWTH Alumnus mit Weltraumerfahrung: Matthias Maurer verbrachte von November 2021 bis Mai 2022 ungefähr sechs Monate im Weltraum auf der ISS (International Space Station). Er ist damit der 13. Deutsche, der in den Weltraum reiste. Maurer promovierte von 1999 bis 2004 an der RWTH Aachen am Institut für Werkstoffwissenschaften (heute Institut für Oberflächentechnik).
Im Interview mit der „keep in touch“ erzählt Matthias Maurer von seiner Mission „Cosmic Kiss“ im Weltraum, warum eine Mars-Expedition gerade noch nicht realistisch ist und wie seine Beziehung zur RWTH Aachen heute aussieht.
Lieber Herr Maurer: Cosmic Kiss – Was steckt hinter dem Namen Ihrer Mission?
Ich werde häufig gefragt, warum Menschen eigentlich in den Weltraum fliegen. Menschen sind neugierig und haben Fragen. Wir wollen wissen, was es ‚dort draußen‘ gibt, wie das Weltall, die Erde und das Sonnensystem entstanden sind, und wie das Leben auf die Erde kam. Wie ist es, über den Mond zu laufen? Genau die gleichen Fragen und Träume habe ich auch und ich habe versucht, dies in dem Namen der Mission auszudrücken. Cosmic Kiss ist eine Liebeserklärung an den Weltraum.
War diese Neugier auf die Welt, den Weltraum und das Leben auch Ihre Inspiration für Ihren Berufswunsch Astronaut?
Die Neugier gehört natürlich dazu, aber neugierig ist man ja meist in vielen Bereichen des Lebens. Bei mir war es so: Die ESA hat 2008 eine neue Astronautenauswahl gestartet, das habe ich durch Zufall abends in den Nachrichten gesehen. Mir war sofort klar, dass das etwas für mich ist, denn der Beruf des Astronauten kombiniert viele Interessen: Wissenschaft, moderne Technik, Arbeiten im internationalen Team und Abenteuer! Das Arbeiten im internationalen Team reflektiert auch meinen Werdegang, denn ich habe ja in England, Frankreich, Spanien und Deutschland studiert und Praktika in Südamerika und Korea gemacht. Das waren sehr wertvolle Erfahrungen für mich, denn da merkt man, dass nicht immer nur die ‚deutsche Lösung‘ die richtige ist. Das öffnet den Blick.
Das Spacewalk Training im Neutral Buoyancy Labratory (NBL) der NASA in Houston, Texas, USA.
Fotos: ESA/NASA/Stephane Corvaja
Nach all dem Lernen und der harten Ausbildung zum Astronauten – Was war das dann für ein Gefühl, das erste Mal Schwerelosigkeit zu erleben?
Während des Trainings wurden bereits Parabelflüge durchgeführt, dabei ist man ungefähr 22 Sekunden am Stück schwerelos. Aber oben im Weltall ist dieser Zustand dauerhaft und das ist etwas ganz Anderes, das muss man langsam genießen. Im Weltall ankommen, schwerelos sein und den Blick auf die Erde zu erleben … Das ist etwas ganz Besonderes. Eben habe ich gesagt, Auslandserfahrungen öffnen den Blick. Aber im Weltall zu sein, das potenziert das Ganze nochmal um ein Vielfaches. Die Erde ist so klein anzusehen. Zu verstehen, dass alles, was auf dieser Erde ist, irgendwie zusammengehört, das wünsche ich mir für jeden Menschen.
Vom Weltall aus betrachtet ist die Erde auch so etwas wie ein Raumschiff. Nur durch Zusammenarbeit können Raumschiffe gesteuert werden. Es funktioniert gar nichts, wenn man gegeneinander arbeitet.
Auf der Erde herrscht so viel Krieg und aus dem Weltall betrachtet wirkt das einfach nur komplett abstrus und unverständlich. Die Probleme der Erde können wir nur lösen, wenn wir zusammenarbeiten. Der Übergang in die Schwerelosigkeit und die Erde von oben zu sehen, das hat mich unglaublich berührt und ich würde mir wünschen, dass jeder Mensch das spüren könnte. Dann wäre der Planet Erde in besseren Händen.
Sie sprachen gerade schon über die Kriege auf der Welt. Haben diese Konflikte auf der Erde Auswirkungen auf das Leben eines Astronauten im Weltall?
Wir sind ‚oben‘ eine kleine Familie, wir halten zusammen, haben zusammen trainiert und müssen einander vertrauen. Die Raumstation kann nur funktionieren, wenn wir die Geschehnisse auf der Erde in Bezug auf unsere Zusammenarbeit ausblenden. Andererseits sind wir natürlich im Weltall auch über das Internet mit dem Tagesgeschehen auf der Erde verbunden. Als der Ukraine-Krieg anfing, habe ich von ‚oben‘ gesehen, dass die Ukraine plötzlich nachts komplett dunkel war. Im ganzen Land wurde das Licht ausgeknipst, damit potenzielle Angriffsziele nicht erkennbar waren. Auch Lichtblitze nordwestlich von Kiew waren vom Weltall zu sehen.
Der Krieg war also nicht nur in den Nachrichten, sondern auch vor meinen Augen. Das war einer der traurigsten Momente meiner ganzen Reise.
Die Rückkehr auf die Erde.
Fotos: NASA/ESA/Matthias Maurer/Stephane Corvaja
Sie waren ja erst vor einiger Zeit an der RWTH Aachen zu Besuch. Wie hat es sich angefühlt, wieder in Aachen zu sein?
Es war toll, wieder in Aachen zu sein! Es hat sich in der kurzen Zeit so viel verändert. Die RWTH brummt, ist höchst aktiv und erfolgreich. Das freut mich sehr. Der Fortschritt in Aachen ist nicht aufzuhalten.
Sie haben an so vielen verschiedenen Orten studiert. Warum haben Sie sich damals für eine Promotion an der RWTH Aachen entschieden? Und sind Sie heute noch mit Ihrer Alma Mater verbunden?
Das Renommee der RWTH war bei meiner Promotion ein ganz wichtiger Faktor. Aber natürlich hat das Thema meiner Dissertation auch inhaltlich sehr gut zum Institut für Werkstoffwissenschaften gepasst. Ich habe auch noch viel Kontakt zu meinen Kommiliton*innen aus dem Studium und natürlich auch zu Professorin Kirsten Bobzin, die den Lehrstuhl jetzt leitet.
Werfen wir doch mal einen Blick nach vorne. Was meinen Sie: Wann ist wohl eine Marsexpedition mit Menschen realistisch?
Um diese Frage zu beantworten, bräuchten wir eine gute Glaskugel. Aus der ingenieurswissenschaftlichen Perspektive ist relativ klar, was uns noch fehlt. Um zum Mars zu fliegen, braucht man mindestens 500 Tage. Eine Mission wäre dementsprechend zwei bis drei Jahre lang. Mit der heutigen Technologie könnten wir hinfliegen und die Rakete mit Treibstoff, Essen und Atemluft etc. sowohl für Hinflug als auch für Rückflug befüllen. Platz für Zusatzmaterial, etwa für Experimente, bliebe dabei aber nicht. Die Technologie für eine Mars-Mission muss also erstmal entwickelt werden.
Der Weg zum Mars ist nur über den Mond möglich. Gerade wird die Raumstation „Deep Space Gateway“ gebaut. Diese fliegt um den Mond und ist eine Art Sprungbrett. Von dort aus kann jeder Punkt auf dem Mond erreicht werden. Gleichzeitig wird auf dieser Station auch die Technologie getestet, die man für eine Reise zum Mars bräuchte. Wenn wir jetzt Mitte der 2020er-Jahre auf dem Mond landen, in den 2030er-Jahren die Technologie auf dem Mond entwickeln und ausweiten, dann hätten wir in den 2040er-Jahren die Technologie, um auf den Mars zu fliegen. Schneller ginge das natürlich mit mehr Geld für diese Forschung – das ist beispielsweise das Vorgehen von Elon Musk. Er möchte ja schon in den 2030er-Jahren auf dem Mars landen.
Wie sieht denn eigentlich Ihre aktuelle Tätigkeit aus? Was machen Sie, wenn Sie nicht im Weltall sind?
Mein großer Traum ist, bei meiner nächsten Mission auf den Mond zu fliegen. Für Europa sind auch schon drei Flüge zur Station „Deep Space Gateway“ reserviert. Bestimmt kommen da noch Flüge hinzu, die auch direkt zur Oberfläche des Mondes führen. Das muss aber natürlich vorbereitet werden. In der Wartezeit, in der ich mich gerade befinde, bin ich verantwortlich für den Aufbau der Anlage LUNA in Köln. LUNA ist ein Mondtrainings- und Technologie-Zentrum. Im Astronaut*innenzentrum in Köln läuft aktuell das missionsunabhängige Training für zukünftige Astronaut*innen sowie für Flüge zur ISS. Die Möglichkeit, Astronaut*innen für den Mond auszubilden, haben wir dort noch nicht. Das soll sich mit LUNA ändern. 2024 wird die neue Anlage in Betrieb gehen. Sie soll als offene Plattform dienen, bei der Astronaut*innen ausgebildet werden. Dort können aber auch sowohl Studierende und Forschende als auch die Industrie ihre eigene Forschung oder Entwicklung in einer höchst realistischen Mondumgebung testen. Die Mondoberfläche wird beispielsweise mit Sand aus der Eifel nachgebildet, welcher die gleiche chemische Zusammensetzung und die gleiche Korngrößenverteilung wie der Mondsand hat. Dieser ist eines der größten Probleme bei einer Mondmission, da der Staub sehr schädlich für die Technik ist.
Außerdem schreibe ich gerade ein Buch über meine Cosmic Kiss-Mission. Das soll Ende dieses Jahres erscheinen. Und natürlich halte ich mich fit und bereit für die nächste Mission.
Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen, um Astronaut*in zu werden?
Astronaut*in sein ist nicht so kompliziert, wie man sich das oft vorstellt – Astronaut*in werden ist aber sehr schwer.
Bei der ESA sind die Einstellungsvoraussetzungen ein ingenieur-, naturwissenschaftliches oder medizinisches Studium oder der Beruf des Testpiloten. Dann muss man natürlich die Auswahl bestehen und das ist der große ‚Flaschenhals‘ an der Sache. Es gibt zu wenig Missionen und zu viele Menschen, die diesen Traum haben. Letztes Jahr gab es eine Auswahl, bei der sich ca. 23.000 Menschen beworben haben. Fünf angehende Astronaut*innen haben wir schließlich eingestellt. Die Auswahl davor war 2009. Dazwischen liegen 13 Jahre. Jemand, der jetzt gerade noch zu jung war, der wird bei der nächsten Auswahl vielleicht zu alt sein.
Ich kann niemandem guten Gewissens den Tipp geben „Streng dich in der Schule an, dann bist du danach Astronaut*in“ – auch wenn das schön wäre. In meinem Fall war es so, dass ich immer das gemacht habe, was ich wollte und was mir Spaß gemacht hat. Glücklicherweise hat das dann zum Anforderungsprofil eines Astronauten gepasst. Zur Auswahl gehört auch einfach Glück!
Herr Maurer, vielen herzlichen Dank für das Gespräch!
Danke schön! Beste Grüße von mir an alle Leser*innen und alle Kolleg*innen in Aachen! Die Ausbildung an der RWTH war toll und hat mit Sicherheit auch dazu beigetragen, dass ich Astronaut werden konnte. Bis bald!
Bei der ESA können auch Studierende Praktika machen! Mehr Infos zur Initiative „Spaceship EAC“ finden Sie hier:
Das EAC unterstützt Nachwuchswissenschaftler*innen dabei, zukünftige Technologien und Anwendungen im All und auf der Erde zu entwickeln.
Mehr Infos zu Matthias Maurer und seiner Mission:
Matthias Maurer
Bildmaterial von Matthias Maurer
Die Höhepunkte des Rückflugs der Cosmic Kiss-Mission (Video)
– Autor*innen: Dietrich Hunold, Siba Fitzau