Dr. Jan Richarz, neuer Dombaumeister in Aachen.
Domkapitel Aachen/Andreas Herrmann

Den Dom immer im Blick

RWTH-Alumnus Dr. Jan Richarz ist neuer Dombaumeister in Aachen

Was macht eigentlich ein Dombaumeister? Dr. Jan Richarz (42) musste etwas schmunzeln: „Die Frage kann ich Ihnen nicht so kurz beantworten. Ich hoffe, die Kapazität Ihres Aufnahmegerätes ist ausreichend. Ein Dombaumeister hat ein riesiges Potpourri an Aufgaben.“ Seit dem 1. Februar 2023 ist der promovierte Bauhistoriker und RWTH-Alumnus als Nachfolger von Helmut Maintz neuer Dombaumeister in Aachen.

Der Dom und seine unmittelbare Umgebung sind für den gebürtigen Dürener Jan Richarz kein unbekanntes Terrain. Lange vor seiner Bewerbung zum Dombaumeister nahm er an einem Forschungsprojekt zur karolingischen Aula Regia teil, auf dessen Grundmauern heute das Aachener Rathaus steht. Ebenso war er an Ausgrabungen zwischen Dom und Ursulinerstraße beteiligt, die 2009 römische Wasserleitungen ans Tageslicht brachten.

Von 2000 bis 2009 studierte Richarz an der RWTH Bauingenieurwesen, Baugeschichte sowie Geschichte und Politische Wissenschaft. Nach dem Studium folgten wissenschaftliche Aufgaben für den Landschaftsverband Rheinland sowie für das Lehr- und Forschungsgebiet Denkmalpflege und Historische Bauforschung an der RWTH. „Die Dinge aus dem Bauingenieurwesen sind definitiv hilfreich für meine Arbeit. Man muss beispielsweise wissen: Wie verhält sich das Gebäude? Wie funktioniert die Statik? Wie waren die wesentlichen konstruktiven Gedanken? Das hat im Baugeschichtsstudium für mich immer etwas gefehlt.“

Schließlich promovierte Jan Richarz 2020 an der Fakultät für Architektur der RWTH mit dem Thema: „Aachen-Wiederaufbau: Rekonstruktion durch Translozierung“. Für diese Dissertation erhielt er im Juni dieses Jahres den renommierten Paul-Clemen-Preis des Landschaftsverbandes Rheinland. Bei dem Begriff Translozierung geht es um Gebäudeversetzung: Ein Gebäude wird abgebaut und an einem anderen Ort wieder aufgebaut. „In der Nachkriegszeit wurden in Aachen sehr viele Fassaden an neuen Gebäuden einfach vorgeklebt“, so Richarz. „Es war eine Form von Stadtbildgestaltung im Sinne des alten Aachener Stadtbildes.“ Die Inspiration zu diesem Dissertationsthema ergab sich für Jan Richarz aus der Bearbeitung des Nachlasses von Leo Hugot, ehemaliger Aachener Stadtkonservator und Dombaumeister, die er nach dem Studium für den Landschaftsverband durchführte.

Clemen-Preis-Verleihung an Dr. Jan Richarz durch Anne Henk-Hollstein, Vorsitzende der Landschaftsversammlung Rheinland.
Geza Aschoff/LVR

Nun ist Jan Richarz selbst Dombaumeister in Aachen – und beginnt, über seine vielfältigen Aufgaben zu erzählen: „Gerade komme ich vom Gerüst, wo ich mich mit einem Steinmetz über das Fugennetz des Doms unterhalten habe. Mit den Restauratorinnen habe ich über die Laserreinigungen bei den Figuren gesprochen. An anderen Tagen folgen Videokonferenzen mit dem UNESCO-Welterbezentrum in Paris oder Aufgaben in der internen Bauorganisation und im Gebäudemanagement. Neben dem Dom gehören Domschatzkammer, Domsingschule, Außenlager und weitere Liegenschaften zu meinem Zuständigkeitsbereich.

Wir reden regelmäßig darüber, welche Maßnahmen durchgeführt werden müssen. Ausschreibungen müssen verfasst werden. Und nebenbei läuft immer auch die Forschungstätigkeit. Es kommen viele Anfragen für Vorträge und Führungen.“ Und das ist nur eine Auswahl der Tätigkeiten, die Jan Richarz in seiner neuen Funktion zu erledigen hat, Überraschungen inbegriffen: „Dazu passieren immer unerwartete Dinge, irgendwas geht kaputt oder muss gewartet werden. Dann muss man handeln und Lösungen finden.“ Zusammengefasst: Einen typischen Alltag des Dombaumeisters gibt es nicht.

Dombauhütte, die „pflegende Hand“

Unterstützung bei der Erledigung seiner Aufgaben findet er vor allem bei den Mitarbeitenden der Dombauhütte, die „pflegende Hand“ des Doms. Als Dombaumeister ist Jan Richarz Leiter der Dombauhütte, für ihn eine ganz besondere Institution: „Die Dombauhütten selbst sind eingetragenes immaterielles Kulturerbe. Wir versuchen nicht nur, die Gebäude zu erhalten, sondern dies auf eine ganz spezielle Art, nahe an den überlieferten Traditionen, zu tun. Es ist also eine Kombination aus moderner Forschung und historischer Technik, welche die Dombauhütte auszeichnet.“ So arbeitet die Aachener Dombauhütte regelmäßig mit dem RWTH-Institut für Bauforschung (ibac) zusammen. Gemeinsam werden beispielsweise Steinersatz und Fugenmörtel für die unterschiedlichen Bauabschnitte entwickelt. „Da gibt es genaue Arbeitsanweisungen des ibac, wie gemischt wird. Und die Handwerker*innen der beauftragten Firmen setzen das Produkt danach um.“

Eine Restauratorin bei der Laserreinigung an der Außenfassade.
Domkapitel Aachen

Herausforderungen

Nicht selten stehen Richarz und sein Team auch vor Rätseln, wie gegenwärtig der Moosbewuchs an der Südseite Doms: „Das ist irritierend und mag auch etwas mit veränderten Luftwerten und anderen Feuchtigkeiten zu tun haben. Da stellt sich die Frage: Wie wirkt sich das langfristig auf das Gebäude aus? Da können wir erstmal nur beobachten mit dem Ziel, dem Schaden durch schnelles Handeln zuvorzukommen, also ‚vor die Lage zu kommen‘, wie es in der Fachsprache heißt.“ Generell müsse man die Dinge immer wieder im Blick haben, abklopfen, abfühlen.

Dies ist allerdings nur eine von vielen Herausforderungen. So spielt auch die Digitalisierung für den neuen Dombaumeister eine wichtige Rolle: „Wir versuchen, unser Welterbe digital besser darzustellen, dass man von außen einen wissenschaftlichen Zugriff hat, aber auch einen einfachen Informationsanspruch bedient.“ Eine weitere Herausforderung ist die Finanzierung der Maßnahmen zur Erhaltung des Domes. Es gibt zwar Fördergelder von Bund, dem Land NRW, aber ebenso die Arbeit des Karlsvereins-Dombauvereins – das heißt die Spendenakquise – ist notwendig, um wichtige Bauaufnahmen durchführen. „Das ist quasi eine Dauerbaustelle“, so Richarz.


Heiligtumsfahrt 2023

Im Sommer fand wieder die bekannte Aachener Heiligtumsfahrt statt, eine traditionelle Wallfahrt, die seit mehr als 600 Jahren christliche Pilger*innen alle sieben Jahre nach Aachen führt. Innerhalb von zehn Tagen besuchten etwa 110.000 Menschen den Dom. Es war ebenso ein Ereignis, das die besondere Aufmerksamkeit des Dombaumeisters und seines Teams erforderte. Insbesondere der hohe CO2-Gehalt der Atemluft fördert die Korrosion des Marmors im Dom. Über ein Messsystem werden die Werte genauestens kontrolliert: „Wenn der Dom für Gottesdienste geöffnet wird, steigt der CO2-Gehalt enorm an. Wir lüften den Dom später durch, damit die verbrauchte Luft wieder herausgeblasen wird.“ Über eine technische Zählung über ein Kamerasystem haben die Verantwortlichen immer einen genauen Überblick über Zahl der Menschen vor Ort. 2022 besuchten etwa eine Million Besucher*innen den Dom. Zurzeit sind es etwa 8.200 Personen täglich.

Zahlreiche Menschen besuchen tagtäglich den Aachener Dom.
Domkapitel Aachen/Andreas Steindl

Stolz des Dombaumeisters

Häufig fährt Jan Richarz morgens mit dem Fahrrad von seinem Wohnort Stolberg zur Arbeit. Unwillkürlich fallen dann auch seine prüfenden Blicke auf den Dom. Die Herausforderungen für den Erhalt des Aachener Domes fordern enormes Engagement und die ganze Kreativität des neuen Dombaumeisters und seines Teams. Aber Richarz ist optimistisch: „Der Dom in Aachen ist über 1.200 Jahre alt und hat viel mehr erlebt, als wir uns vorstellen können. Er hat 803 ein Erdbeben überstanden und steht immer noch. Er hat einen großen Weltkrieg überstanden, bei dem ringsumher alles in Schutt und Asche gelegt wurde, er steht immer noch. Man ist stolz darauf, dass man dafür arbeiten darf.“

Der Aachener Dom, Deutschlands erstes Weltkulturerbe.
Domkapitel Aachen / Andreas Steindl

– Autor: Dietrich Hunold