Frau stützt ihren Kopf auf Hand und lächelt.
Dr. Annika Hauptvogel ist Head of Technology & Innovation Management bei der Siemens AG.
Siemens AG

„Meine Zeit an der RWTH ist eigentlich nie zu Ende gegangen.“

Dr. Annika Hauptvogel, Wegbereiterin für Innovationen bei Siemens, im Interview mit der „keep in touch“

Dr. Annika Hauptvogel ist Head of Technology & Innovation Management bei der Siemens AG. Eine verantwortungsvolle Aufgabe – und eine zukunftsgerichtete, denn Annika Hauptvogel ist die Wegebereiterin für Innovationen bei Siemens. Das bedeutet, sie identifiziert aktuelle technologische Trends, entwickelt diese für Siemens und stellt sicher, dass sie auch auf dem Markt erfolgreich sind, und das alles vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit. Sie studierte an der TU München Maschinenbau und absolvierte ihre Promotion von 2011 bis 2015 am Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH. Ihre Promotion hat Annika Hauptvogel mit Auszeichnung bestanden und erhielt dafür die Borchers-Plakette.

Im Interview mit der „keep in touch“ erzählt sie von ihrer jahrelangen Zusammenarbeit mit der RWTH, vom Industrial Metaverse und von ihrer Zeit am WZL, an die sie heute noch gerne zurückdenkt.

Liebe Frau Hauptvogel, Sie sind „Head of Technology & Innovation Management“ bei Siemens. Das ist ein ziemlich langer Name. Was genau sind denn dabei Ihre Aufgaben?

Ja, das ist wirklich ein langer Name und auch ein breites Aufgabengebiet! Grundsätzlich kann man sagen, dass ich die Innovationsfähigkeit von Siemens sicherstelle. Mein Ziel ist es, neue digitale und nachhaltige Technologien auf den Weg zu bringen.

Im Detail: Wir schauen, was die Technologietrends der Zukunft sind und welche Trends für Siemens relevant sind. An diesen arbeiten wir dann. Wir haben bei Siemens sogenannte Company Core Technologies [spezifische Forschungs- und Entwicklungsfelder]. In diesem Programm treiben wir die für Siemens relevanten Technologien voran. Außerdem stellen wir sicher, dass diese Technologien auch erfolgreich am Markt sind und dorthin transferiert werden können, indem wir zum einen den Marktzugang frühzeitig gewährleisten – beispielsweise über technische Regulierungen – und zum anderen Innovationsökosysteme schaffen.

Ökosysteme

Der Begriff „Ökosysteme“ meint im wirtschaftlichen Kontext Partnerschaften, bei denen verschiedene Akteur*innen zusammenarbeiten, um Innovationen zu entwickeln.

Ein Beispiel bei Siemens für Ökosysteme sind die Siemens Research and Innovation Ecosystems (Siemens RIE). Weltweit gibt es 16 Siemens RIEs. Eines davon ist in Aachen, das Siemens RIE Aachen Arc. Ein weiteres Beispiel ist das Siemens Innovation Ecosystem, das in Annika Hauptvogels Abteilung entwickelt wurde (ecosystem.siemens.com).

Beinhaltet ein typischer Arbeitstag bei Ihnen auch Besuche in Laboren?

Wir sind in meinem Team nicht die Forschenden oder Entwickelnden, sondern die Strateg*innen, Berater*innen und Programmmanager*innen. Wir sind zum Beispiel ganz viel unterwegs in Ökosystemen. Technologietrends zu identifizieren ist nicht nur vorm Schreibtisch möglich, sondern man muss auf Konferenzen, Fachmessen und zu Think Tanks gehen sowie die Geschäfte und den Markt verstehen. Zudem sind wir mit anderen Unternehmen, Verbänden und auch mit der Politik im Austausch, um beispielsweise den Einfluss und die Möglichkeiten neuer Technologien zu diskutieren.


Wie wichtig sind denn internationale Beziehungen für Ihre Arbeit?

Sehr wichtig. Siemens ist ein globaler Konzern und insofern auf der ganzen Welt unterwegs.

Sowohl Siemens Technology als auch unsere Siemens Research and Innovation Ecosystems sind an verschiedenen Orten auf dieser Welt verteilt, zum Beispiel in den USA oder in Indien. Das ist sehr wichtig, weil jedes Land seine eigene Expertise mitbringt.

Siemens möchte die „greatest minds“, also die schlauen Köpfe, mit der fachspezifischen Expertise zusammenführen. Das machen wir auch regelmäßig. Es gibt zum Beispiel die Tech for Sustainabilty-Kampagne. Da fragen wir insbesondere Studierende und Start-ups nach ihren Lösungen zu bestimmten Themen bzw. Herausforderungen. Diese Fragestellungen kommen direkt von unseren Siemens Geschäften. Damit stellen wir sicher, dass die Lösungen relevant sind und das Potenzial haben, zu einem marktfähigen Produkt weiterentwickelt zu werden.


Mit der RWTH haben Sie eine App zusammen entwickelt, die Track Monitoring Smartphone App. Was genau ist das für eine App?

Das war noch zu meiner Zeit bei Siemens Mobility. Da haben wir uns gefragt, wie wir für Bahnbetreibende eine einfache Lösung für die Überwachung von Gleisen entwickeln können. Das Gleis ist das wichtigste Infrastrukturelement für Bahnbetreibende und wir haben damals nach einer günstigen und einfachen Lösung gesucht. Damals erfolgte die Gleisüberwachung dadurch, dass Gleise zu Fuß abgegangen wurden. Oder es wurden sogenannte Messzüge eingesetzt, die sind aber so rar, dass sie die meisten Gleisstellen nur einmal im Jahr überwachen.

Im Zuge der Digitalisierung will man natürlich regelmäßig Daten bekommen und wir haben uns gedacht, dass das mit einer Smartphone App gut gehen sollte. Denn das Smartphone an sich ist wie ein Messinstrument. Es hat Sensoren integriert, die zum Beispiel Beschleunigung messen oder die eigene Richtung aufnehmen können. Und die Frage war dann: Wie kann ich Parameter auswerten, die durch ein Smartphone zum Beispiel im Führerstand eines Zuges aufgenommen wurden und dadurch Informationen zum Gleis bekommen? Da hat uns die RWTH klasse geholfen! Genau dieses Modell, das wir damals brauchten, um die Sensorik und die Daten auswerten zu können, hat die RWTH geliefert. Das war ein tolles Projekt und ein gutes Beispiel für ein funktionierendes Ökosystem, in dem wir von universitärer Seite und von Seiten der Industrie und gleichzeitig auch zusammen mit dem Kunden – in dem Fall die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main – gemeinsam ein Produkt entwickelt haben.

Das heißt, Ihre Zeit an der RWTH war nach Ihrer Promotion gar nicht vorbei. Inwiefern sind Sie bei Siemens noch mit der RWTH verbunden?

Genau, meine Zeit an der RWTH ist eigentlich nie zu Ende gegangen. Während ich bei Siemens Mobility tätig war, gab es zum Beispiel das Future Train 2025+-Projekt. Das war ein Siemens Forschungsbereich, den wir gemeinsam mit der RWTH aufgesetzt hatten, um zu überlegen, wie die übernächste Generation von Zügen aussehen kann. Ich habe in diesem Projekt mitgewirkt, um sicherzustellen, dass dieses Konzept auch eine effiziente Instandhaltung ermöglicht.

Grundsätzlich gibt es bei Siemens die vorhin bereits erwähnten Siemens Research and Innovation Ecosystems – und eines davon ist das Siemens RIE Aachen Arc. Wir glauben, dass man gerade heute in Ökosystemen agieren soll und muss. Da sind die RWTH oder auch die Fraunhofer-Gesellschaft oder die KU Leuven sehr gute und vertrauensvolle Partner. Am 6. Dezember treffen wir uns zum Beispiel, um über das Industrial Metaverse in diesem Ökosystem zu sprechen. Unsere Siemens Research and Innovation Ecosystems sind für uns sehr relevante Vehikel, um verschiedenste Stakeholder zusammenzubringen. Besonders wichtig dabei ist es, den wissenschaftlich, universitären Blick mit industriell, realen Fragestellungen sowie Herausforderungen zu verknüpfen. So lernen wir voneinander und stellen den Transfer aus der Forschung in die Industrie sicher.

Ich möchte gerne Menschen für Technik und auch für Siemens begeistern. Deswegen bin ich zum Beispiel auch bei Veranstaltungen wie dem Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquium (AWK) vor Ort und zeige, was wir bei Siemens im Kontext der Nachhaltigkeit vorantreiben, und was es bei uns an aktuellen Entwicklungen gibt.

 

Theresa Johann
Theresa Johann

Dr. Annika Hauptvogel bei ihrem Vortrag auf dem AWK’23.

Worum genau geht es denn am 6. Dezember?

Das Thema der Konferenz ist das Industrial Metaverse. „Simulation and Digital Twin Technologies in the Industrial Metaverse“, so heißt die ganze Veranstaltung. Das Metaverse besteht nicht nur aus der Technologie des digitalen Zwillings, sondern dazu gehören auch KI [Künstliche Intelligenz] oder Simulation. In der Konferenz am 6. und 7. Dezember diskutieren wir mit Expert*innen aus der Forschung und Industrie, welchen Einfluss das Industrial Metaverse und dessen assoziierten Technologien auf gemeinsame zukünftige Kollaborationen haben wird und dessen allgemeinen Einfluss auf die Industrie, Gesellschaft und Nachhaltigkeit. Am zweiten Konferenztag an der KU Leuven vertiefen wir in Workshops mit Professor*innen der RWTH, KU Leuven, TU Eindhoven und verschiedenen Industrievertreter*innen aus der Region die Diskussion. Ziel dabei ist es, offene Herausforderungen von Simulationen und dem digitalen Zwilling in industriellen Anwendungen zu identifizieren und anschließend gemeinsam mit der Forschung anzugehen.

Übrigens werden wir auch das 20-jährige Kooperationsjubiläum von Siemens und der RWTH im Rahmen der Industrial Metaverse-Konferenz feiern. Dabei blicken wir zurück auf die Erfolge vieler gemeinsamer Projekte.

Jetzt haben Sie schon einige Vorteile der Zusammenarbeit von Siemens und der RWTH genannt, zum Beispiel den Transfer von Forschungsergebnissen in die Industrie. Gibt es noch mehr Vorteile der Zusammenarbeit?

Ja, der Zugang zu Start-ups! Auch das ist für uns sehr hilfreich, weil wir so die Möglichkeit haben, die jungen und talentierten Entrepreneurs kennenzulernen und mit diesen zusammenzuarbeiten. Zum Beispiel haben wir mit dem Start-up RIIICO verschiedene Pilotprojekte zusammen gestaltet. Mittlerweile ist RIIICO auch Partner in unserer offenen, digitalen Business Plattform Siemens Xcelerator. Das ist eine sehr schöne Geschichte, wie Siemens mit Start-ups zusammenarbeitet, die an der RWTH entstehen.

Sie haben ja erst an der Technischen Universität München studiert. Warum haben Sie sich dann für Ihre Promotion für die RWTH entschieden?

Für mich als Ingenieurin ist immer das Zusammenspiel von Praxis und Theorie wesentlich. Auch im Studium war es mir immer sehr wichtig, viele Praktika zu machen. Meine Diplomarbeit habe ich bei Siemens geschrieben, weil ich den Bezug zur Praxis sehr hilfreich fand. Am WZL hatte ich genau diese Möglichkeit, neben der Promotion viele praxisnahe Projekte durchzuführen. Ich habe in dieser Zeit ungefähr 40 Fabriken kennengelernt, was natürlich sehr hilfreich ist, wenn man im Bereich Produktionsplanung und -steuerung promoviert. So konnte ich verstehen, wie die Wirklichkeit aussieht und auch die Herausforderungen der echten Produktion kennenlernen.

Das war für mich das überzeugende Argument für das WZL, dass ich genau diesen Bezug zwischen Praxis und Theorie sehr gut herstellen konnte.

Haben Sie noch eine besondere Erinnerung an die RWTH, die vielleicht auch nichts mit Ihrer Arbeit zu tun hat?

Die besonderen Erinnerungen haben schon in gewisser Weise mit der Arbeit zu tun, denn es geht dabei um die Kolleg*innen, mit denen ich damals zusammengearbeitet habe. Wir hatten immer ein sehr gutes Verhältnis untereinander und haben uns tagtäglich unterstützt. Donnerstags gab’s immer ein Feierabendbier in der Pontstraße. Solche besonderen Erinnerungen prägen diese Zeit. Wir haben auch immer noch viel Kontakt. Einige Kolleg*innen sind sogar ebenfalls bei Siemens!

Erst letzte Woche war ich beim Systems Engineering Congress, der auch von der RWTH bzw. einem ehemaligen Kollegen ausgerichtet wurde.


Haben Sie gerade noch Ideen für Innovationen in der Zukunft?

Das große Thema, das mich gerade umtreibt, ist das Industrial Metaverse, also das Zusammenführen von realer und digitaler Welt.

Allein durch die Weiterentwicklung von digitalen Zwillingen, von KI und von Rechenleistung ergeben sich da ganz neue Möglichkeiten. Daran arbeiten wir gerade bei Siemens und das wird uns die nächsten Jahre sehr beschäftigen.


Sie haben mal in einem Interview gesagt, eine Innovation sei gut, wenn sie auf dem Markt erfolgreich ist. Gibt es noch andere Kriterien, die eine Innovation als gut kennzeichnen?

Die Aussage war ein bisschen anders. Ich habe gesagt: Eine Erfindung, eine Technologie oder ein Service ist dann eine Innovation, wenn sie auf dem Markt erfolgreich ist. Was macht eine gute Innovation aus? Der Zweck. Erfindungen können auf dem Markt erfolgreich sein, aber keinen positiven Zweck erfüllen oder nicht nachhaltig sein.


Wir haben gelesen, dass Sie als Kind Erfinderin werden wollten. Inwieweit können Sie das in Ihrer jetzigen Position erleben?

Ich wollte Erfinderin werden, weil ich Probleme lösen wollte. Meine Spielzeugautos hatten keine Garage, also habe ich für diese eine Garage gebaut. Ich glaube, das überträgt sich auch auf Heute sehr gut. Ich bin immer noch sehr daran interessiert, Lösungen für Probleme zu finden. Aber keine selbst ausgedachten Probleme, sondern ich schaue auf den Markt und unsere Kunden und überlege, wie wir da unterstützen können. Und das natürlich auch in meiner aktuellen Rolle, bei der es darum geht, wie wir die Technologien der Zukunft irgendwann in den Markt einführen können. Insofern bin ich immer noch ein Stück Erfinderin.

Ganz herzlichen Dank für das schöne und informative Gespräch!

– Autorin: Siba Fitzau. Das Interview wurde im September 2023 geführt.

Anzeige