Professor Robert Schmitt ist Inhaber des Lehrstuhls für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen und Direktoriumsmitglied am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT.
WLZ, Steinhard

Grüne und nachhaltige Produktion stärken

Prof. Dr.-Ing. Robert Schmitt im Gespräch zum Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquium 2023 (AWK’23)

Gesellschaftliche, soziale und politische Umbrüche verlangen einen Wandel und ein Umdenken der Produktionstechnik. „Es geht nicht mehr nur um höher, schneller, weiter, sondern tatsächlich um besser, überlegter, verantwortungsvoller“, erklärt Professor Robert Schmitt, Inhaber des Lehrstuhls für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen und Direktoriumsmitglied des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie IPT. Bereits seit 2004 ist er Inhaber des Lehrstuhls und forscht mit seinem Team an der Industrialisierung betrieblicher Prozesse in der Produktionstechnik.

Die Abhängigkeit der produzierenden Industrie von weltumspannenden Logistikketten, fossiler Energie und seltenen Rohstoffen macht es heute dringlicher denn je, grüne und nachhaltige Produktion zu stärken. Um gemeinsam mit Vertreter*innen aus Industrie und Politik zu diskutieren, wie dies gelingen kann, lädt Professor Robert Schmitt zusammen mit seinen drei WZL-Kollegen, den Professoren Thomas Bergs, Christian Brecher und Günther Schuh zum AWK’23 ein: Konkrete Ansätze und Entwicklungen für die Transformation zu einer nachhaltigeren, energie- und ressourceneffizienten Industrie und Wirtschaft stehen bei der renommierten Konferenz im Mai kommenden Jahres im Mittelpunkt.

„Das AWK ist immer eine Art Wegmarke; auf der anderen Seite bietet es uns aber auch Orientierungspunkte für unsere weitere Forschung. Das war und ist schon immer das Besondere am AWK in Aachen.“

Professor Schmitt, welchen Stellenwert hat das AWK‘23 für Sie persönlich?

Nicht nur das AWK´23, sondern grundsätzlich ist das AWK für unser Institut und alle, die damit verbunden sind, eine Konzentration, auf ein zentrales Thema hinzuwirken, die Community zu organisieren und ein Thema mit hoher Relevanz nach vorne zu bringen. Für mich ist das AWK deswegen persönlich so wichtig, weil es eben nicht eine weitere Konferenz ist. Das wesentliche Merkmal des AWK ist, dass die Expertenkreise und Fachvorträge, die gehalten werden, tatsächlich nicht nur eine Berichterstattung über aktuelle Forschungsarbeiten sind. Sie bieten vielmehr eine Standortbestimmung, die natürlich auf die Zukunft hin ausgerichtet ist. „Das AWK ist immer eine Art Wegmarke; auf der anderen Seite bietet es uns aber auch Orientierungspunkte für unsere weitere Forschung. Das war und ist schon immer das Besondere am AWK in Aachen.“

Was ist die größte Herausforderung dabei, die Community zusammenzubringen?

Es gibt zwei wesentliche Herausforderungen: Das eine ist, tatsächlich mit einem Thema einzusteigen, das eine hinreichende Tragweite hat. Gleichzeitig muss sich dieses Thema aber auch so eingrenzen lassen, dass es in einem zweitägigen Format abgebildet werden kann. Die Community zu organisieren ist dann gar nicht mehr so schwer, sondern hauptsächlich eine organisatorische Aufgabe. Tatsächlich ist die Definition des zentralen Themas die wesentlich größere Herausforderung, weil es um wesentliche Fragestellungen geht, die weit über die Produktion hinausreichen: Wie übernehmen wir Verantwortung in unserer immer komplexeren Welt? Und wie übernehmen wir Verantwortung für die Produktionstechniker*innen in dieser Welt? Die organisatorische Aufgabe ist dann fast das Vergnügen an der Sache: nämlich Menschen an diese Fragestellung heranzuführen, die neu in diesem Themengebiet sind – und vielleicht auch mit den Menschen darüber zu reden, die längst auf etablierten Positionen sitzen. Und nicht zuletzt möchten wir natürlich auch den Mitarbeitenden an den Instituten eine Chance geben, ihre eigenen Arbeiten vorzustellen, sie neu zu sortieren, dabei wieder neue Fragestellungen zu entdecken und diese dann auch über ihre Forschungsfragen hinaus in ihren persönlichen Lebensweg zu integrieren.

Das vorangegangene AWK'21 liegt noch gar nicht so lange in der Vergangenheit: Spüren Sie einen Unterschied im Vergleich zu früheren AWKs, bei denen der klassische Turnus von drei Jahren immer eingehalten wurde?

Ja, der zeitliche Druck ist gewachsen. Grundsätzlich bin ich aber fast dankbar, dass wir die große Chance haben, diesmal in einem zweijährigen Rhythmus zu arbeiten. Denn wir können nicht länger warten, sondern müssen jetzt Antworten geben: Wir merken nämlich, dass gesellschaftliche, wirtschaftliche oder eben sogar kriegerische Auseinandersetzungen unsere freiheitlichen Gesellschaften wirklich herausfordern. Und wenn wir hier die Chance nutzen können, kreativ zu forschen, in einer Umgebung, die es uns erlaubt mit einer wissenschaftlichen Herangehensweise auf eine große Vielfalt an Themen zu schauen, dann ist es selbstverständlich auch unsere Pflicht, das zu tun und die großen und wichtigen Fragen zu stellen. Das kann natürlich nicht alles das AWK leisten, aber es kann und muss die richtigen Akzente zur richtigen Zeit setzen – und das tun wir.

„Was ist Chancengleichheit? Wie viele Menschen haben eigentlich die Möglichkeit, teilzuhaben an der Erfindung der Zukunft? Ist das nur ein Elitenprojekt, also ein wirtschaftliches Projekt? Oder ist das eine Aufgabe, die uns alle angeht?“

Warum ist das Motto „Empower Green Production“ jetzt wichtiger denn je und was muss die Industrie tun, um diesem Motto zu folgen?

Wir haben nicht so schrecklich viel Zeit, uns zu unterhalten, was man machen könnte, denn es fallen eben sehr viele Dinge zusammen. Es geht nicht nur um rein wirtschaftliche Fragen, sondern tatsächlich auch um den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Viele Menschen sind unruhig, wissen nicht, wie es weitergeht. Und deswegen ist es so extrem wichtig, dass wir auch an der Hochschule und in der Produktionstechnik deutlich sagen, wo unsere Verantwortung liegt: Es ist nicht alleine damit getan, CO<sub>2</sub> zu reduzieren, sondern wir stehen auch in der Verantwortung für eine stabile Gesellschaft. Und ich bin davon überzeugt, dass die industrielle Produktion durchaus ein stabilisierender Faktor ist. Aber ich glaube, dass wir manche Fragen, die wir bisher mit dem Begriff der Effizienz verbunden haben, zu einseitig gestellt haben. Zum Beispiel, was ist Produktivität? Oder in meinem Fachgebiet, dem Qualitätsmanagement: Was ist Qualität? Wenn wir hier über das Vermeiden von Verschwendung gesprochen haben, dann hatte dies ursprünglich auch eine sehr starke soziale Komponente, die allerdings im Laufe der Zeit von einer rein wirtschaftlichen Sicht verdrängt wurde. Wir fragen, wo man am billigsten produzieren kann, und berücksichtigen gar nicht, dass wir dann dafür vielleicht Waren um den halben Globus fahren – nur weil es scheinbar günstiger ist. Die richtige Frage lautet: Was ist denn wirklich Wertschöpfung? Der Impuls, den wir mit dem AWK setzen möchten, bezieht sich auf die Interpretation der damit verbundenen Größen. Eine weitere Frage ist natürlich auch: Ist das, was wir tun, nachhaltig? Und: Investieren wir in eine Zukunft, die die nachfolgende Generation kompromittiert? Diese Fragen werden schon seit vielen Jahren gestellt, aber jetzt drängt die Zeit und wir müssen Antworten darauf geben. Wir sehen ganz aktuell, dass ein Land, das immer gesegnet war durch ein mildes, ausgeglichenes Klima, plötzlich in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, weil die Transportwege zu Wasser nicht mehr funktionieren. Der Umbau unserer Infrastruktur ist wichtiger denn je. Und damit ist natürlich auch die Frage der sozialen Teilhabe verbunden. „Was ist Chancengleichheit? Wie viele Menschen haben eigentlich die Möglichkeit, teilzuhaben an der Erfindung der Zukunft? Ist das nur ein Elitenprojekt, also ein wirtschaftliches Projekt? Oder ist das eine Aufgabe, die uns alle angeht?“ Das sind alles Aspekte, die das AWK mitbehandeln muss.

Was erhoffen Sie sich denn vom AWK, wenn es ein Auslöser wird, mit der Community zu sprechen, sich auszutauschen oder sogar Schritte einzuleiten. Was wäre Ihr Wunsch, wenn das AWK vorbei ist? Was soll danach kommen?

Ich fände es schön, wenn wir ein klares Bild gezeichnet hätten, das einen optimistischen Weg in die Zukunft weist. Ein Bild, das zeigt, wie industrielle Wertschöpfung in der Bundesrepublik Deutschland, also klassische Produktion, tatsächlich aufrechterhalten werden kann. Aber es muss auch dahinführen, dass wir die Fragen dann auch behandeln: Wie gehen wir zukünftig mit den beteiligten Personen um – zum Beispiel als Stichwort: Fachkräftemangel und Ausbildung? Was erwarten wir eigentlich? Und ich würde mir wünschen, dass ein Teil der Diskussionsergebnisse umgesetzt wird in einen tatsächlichen Aktionsplan, der klar und deutlich zeigt, wie es weitergehen soll.

2021 ist das AWK aufgrund der Pandemie das erste Mal sowohl vor Ort als auch digital durchgeführt worden. Dieses hybride Konzept wird auch 2023 weitergeführt. Was erwartet die Teilnehmer*innen digital? Auf was kann man sich freuen?

Wir sind davon überzeugt, dass es hilfreich ist, auch tatsächlich persönlich hier nach Aachen zu kommen. Das ist lohnenswert, weil man untereinander direkt in den Kontakt kommt und viel aus erster Hand von unseren Referent*innen erfährt – in den Sessions und Podiumsdiskussionen und natürlich von den Arbeitskreisen. Außerdem bieten wir ja die Gelegenheit, unsere Forschung live vor Ort in einer prototypischen oder sogar realistischen Umsetzung während der Institutsbesichtigung und in den Hallenrundgängen zu erleben. Das kann die digitale Plattform natürlich nur eingeschränkt abbilden.

Das digitale Format hilft dagegen sehr, wenn es darum geht, noch stärker auf der operativen Ebene Informationen aufzunehmen: Die Teilnehmer*innen erhalten auf der Digitalplattform mit Zugang zum „Open Networking“ zusätzliche Informationen, die von ausgewählten Projektverantwortlichen noch detaillierter dargestellt werden. Zudem bieten wir ein neues Speed-Dating-Format für Unternehmen an. Und es wird auch eine geführte digitale Institutsbesichtigung geben. Gerade für unsere internationalen Gäste bietet das Digitalticket beste Möglichkeiten der Vernetzung auch über Kontinente hinweg und ohne reisen zu müssen. Die Charakteristik des AWKs war es schon immer, eine Plattform für neue Lösungen zu bieten und diese miteinander zu diskutieren – so wird es auch immer sein, ganz gleich ob digital oder vor Ort. Der Austausch, mit der Community um die beste Lösung zu ringen, darauf wird man sich freuen können.

– Viktoria Ingelmann

Es geht nicht mehr um höher, schneller, weiter, sondern tatsächlich um besser, überlegter, verantwortungsvoller“, erklärt Professor Robert Schmitt.
Foto: Strauch

AWK‘23

Empower Green Production

2023 zeigt das AWK vom 11. bis 12. Mai mit dem Thema »Empower Green Production« in einem hybriden Veranstaltungsformat sowohl im Aachener Eurogress als auch digital, wie neue Technologien und Konzepte für eine krisenfestere und gleichzeitig grüne Produktion in Zukunft aussehen können.

www.awk-aachen.de