Von Mais zum Wasserbecher und dann in den Kreislauf
Die Forschung am Lehrstuhl für Bioanorganische Chemie an der RWTH widmet sich intensiv der Entwicklung zirkulärer Biokunststoffe
In unseren Haushalten finden sich täglich immer mehr Kunststoffprodukte. Plastiktüten und ähnliche Artikel werden häufig gedankenlos verwendet und schnell weggeworfen, was aufgrund der langen Haltbarkeit dieser Kunststoffe ein erhebliches Umweltproblem darstellt. Daher konzentriert sich die Forschung in der Chemie vermehrt auf neue Methoden zur Herstellung biologisch abbaubarer Makromoleküle aus nachwachsenden Rohstoffen. Zusätzlich gewinnt das Recycling von Biokunststoffen an Bedeutung, da dies einen nachhaltigeren Umgang mit diesen Materialien ermöglicht. Das Team um Professorin Sonja Herres-Pawlis am Lehrstuhl für Bioanorganische Chemie an der RWTH kreiert neue ungiftige Katalysatoren für Biokunststoffe und deren Recycling im Rahmen von zahlreichen Drittmittelprojekten.
Enorme Herausforderungen
Immer häufiger hören wir von den Gefahren, die Plastikpartikel für Mensch und Umwelt darstellen. Der rasant ansteigende Kunststoffverbrauch stellt uns vor enorme Herausforderungen. Jährlich werden mehr als 300 Millionen Tonnen Plastik produziert, im Vergleich zu nur 1,5 Millionen Tonnen in den 1950er Jahren. Schätzungen zufolge gelangen jährlich fünf bis zwölf Millionen Tonnen Plastikmüll in die Weltmeere, hauptsächlich durch Flüsse und Küstengebiete. Dort zerfallen die Kunststoffe durch Sonneneinstrahlung, Salzwasser, Wind und Wellen in winzige Partikel, die von Meereslebewesen aufgenommen werden. Weichmacher in den Kunststoffen reichern sich im Fettgewebe von Tieren an und gelangen so in die Nahrungskette. Die Auswirkungen auf Mensch und Tier sind noch nicht vollständig erforscht, aber Schätzungen besagen, dass jährlich bis zu 100.000 Meeressäuger und eine Million Meeresvögel an der Verschmutzung sterben. Die Mikroplastikpartikel gelangen schließlich über die Nahrung in den menschlichen Organismus.
Um dieses Problem zu lösen, wird verstärkt an nachhaltigen, biologisch abbaubaren Kunststoffen geforscht. Diese können sich unter biologischen Bedingungen innerhalb von zwölf Wochen bei 60 °Celsius zersetzen.
Biokunststoffe und ihre Anwendungen
Biokunststoffe bieten Lösungen für zwei große Probleme: die Abhängigkeit von Erdölressourcen und die Produktion von nicht-kompostierbaren Kunststoffabfällen. Biokunststoffe können biologisch abbaubar sein oder aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden, manchmal sogar beides. Eine wichtige Gruppe biologisch abbaubarer Biokunststoffe sind aliphatische Polyester wie Polymilchsäure (PLA). Sie können herkömmliche petrochemische Kunststoffe ersetzen und sind heimkompostierbar. Andere Biokunststoffe wie Polybutylensuccinat (PBS) werden aus einer Mischung aus nachwachsenden und fossilen Rohstoffen hergestellt und sind ebenso kompostierbar. Biokunststoffe finden Anwendung in Verpackungen, Kleidung, Medizin und Pharmazie. Sie könnten auch in optischen Anwendungen wie Plexiglas und Getränkeflaschen Verwendung finden, wenn Probleme wie die CO2-Durchlässigkeit gelöst werden.
Polylactid (PLA) und seine Herstellung
Polylactid (PLA) wird aus Lactid hergestellt, das aus Mais, Zuckerrüben oder Zuckerrohr gewonnen wird. Des Weiteren werden für die Biokunststoffproduktion meist Rohstoffe verwendet, welche nicht zur Lebensmittelproduktion geeignet sind. Als neueste Entwicklung werden auch alternative Stärkequellen wie Maisstroh untersucht, so dass auch bei steigender Biokunststoffproduktion keine Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion auftritt. Die enthaltene Glucose wird zuerst zur Milchsäure fermentiert, diese zu kurzen Ketten verbunden („oligomerisiert“) und zum Diester Lactid konvertiert. Metall-Katalysatoren können diesen Ring in einer sogenannten Ringöffnungspolymerisation öffnen und zu Polyesterketten verknüpfen. Industriell geschieht dies durch giftige Zinn-Verbindungen, die die RWTH-Forscher*innen durch ungiftige Zink- und auch Eisen-Guanidin-Katalysatoren ersetzen wollen, um die Umweltverträglichkeit und Effizienz zu verbessern. Guanidine sind basische Donorliganden, die über ein modulares Synthesekonzept an die gewünschte Anwendung angepasst werden können. Zurzeit stellen die Guanidin-Komplexe die schnellsten Lactid-Polymerisationskatalysatoren unter industriellen Bedingungen dar.
Die Polymerisationsreaktion, das heißt die Synthesereaktionen, die gleichartige oder unterschiedliche Monomere in Polymere überführen, kann mittels zeitaufgelöster Raman-Spektroskopie genau überwacht werden und daraus kinetische Modelle zum Reaktionsablauf hergeleitet werden. So zeigt sich, ob die Katalysatoren die Polymerisation kontrolliert vermitteln. Die Reaktionskontrolle ist wichtig, um auch die Kettenlängen und Kettenverteilung der entstehenden Kunststoffe zu kontrollieren, womit die gewünschten Eigenschaften eingestellt werden können, wie zum Beispiel Abbaugeschwindigkeit, Dehnbarkeit und Härte.
Entsorgung von Biokunststoffen
Biokunststoffe können recycelt, verbrannt oder unter industriellen Kompostbedingungen abgebaut werden. Verschiedene Zertifizierungsorganisationen überwachen und regulieren die Biokunststoffindustrie, um sicherzustellen, dass Produkte korrekt gekennzeichnet und entsorgt werden. Die Kompostierung von Biokunststoffen erfordert spezielle Anlagen, da sie höhere Temperaturen und Luftzirkulation erfordert als die Kompostierung von Lebensmittelabfällen. Die erzeugte Komposterde kann dann für die Landwirtschaft oder die Anpflanzung von Bäumen verwendet werden.
Recycling von Biokunststoffen
Im Prinzip sind Biokunststoffe aber viel zu wertvoll, um nur einmal verwendet zu werden. Sie werden aus wertvollen Rohstoffen hergestellt und können auch mehrfach verwendet werden. Mechanisches Recycling benötigt wenig Energie, lohnt sich aber nur bei schonenden Prozessen und großen Abfallmengen. Chemisches Recycling kann sich auch bei Polymermischungen lohnen, hier gelingt mit unseren Katalysatoren der schnelle Abbau zu Lactatestern, die wiederum als grüne Lösungsmittel eingesetzt werden.
Fazit
Biokunststoffe bieten vielversprechende Lösungen für das Plastikmüllproblem. Sie können aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden, sind biologisch abbaubar und können herkömmliche Kunststoffe in vielen Anwendungen ersetzen. Allerdings sind noch weitere Forschung und Entwicklungsarbeit erforderlich, um ihre Eigenschaften und Effizienz zu verbessern und sicherzustellen, dass sie umweltfreundlich entsorgt werden können.
Literaturhinweise:
Allgemeines Poster zu Biokunststoffarbeiten:
https://www.bioac.ac.rwth-aachen.de/cms/BIOAC/Forschung/Forschungsfelder/~jtwj/Lactidpolymerisation/
Fuchs, Martin; Schäfer, Pascal; Wagner, Wolf; Krumm, Ian; Walbeck, Marcel; Dietrich, Regina; Hoffmann, Alexander; Herres-Pawlis, Sonja
A Multitool for Circular Economy: Fast Ring‐Opening Polymerization and Chemical Recycling of (Bio)polyesters Using a Single Aliphatic Guanidine Carboxy Zinc Catalyst
In: ChemSusChem : chemistry, sustainability, energy, materials, Volume 16, Issue 12, Page(s) e202300192 (2023)
[DOI: 10.1002/cssc.202300779]
Zur Polymerisation:
Rittinghaus, Ruth Dorina; Herres-Pawlis, Sonja
Catalysts as Key Enablers for the Synthesis of Bioplastics with Sophisticated Architectures
In: Chemistry - a European journal, Volume 29, Issue 1, Page(s) e202202222 (2022)
[DOI: 10.1002/chem.202202222]
– Autorin: Sonja Herres-Pawlis