Forschung
Wissenschaft und Technik zum Nutzen der Gesellschaft
Angesichts der tiefgreifenden Veränderungen, sei es durch die Klimakrise oder weitere globale Herausforderungen, denen sich die Gesellschaft stellen muss, sind auch die Hochschulen in der Verantwortung, ihre immanente Aufgabe als gesellschaftliche Brückenbauer*innen noch intensiver wahrzunehmen. Als Ort von Forschung, Lehre und Transfer können sie mit ihrem Wissen aktiv eine nachhaltige gesellschaftliche Transformation und zukunftsgerechte technische Entwicklung mitgestalten und einen wertvollen Beitrag leisten. Im Nachhaltigkeitsleitbild haben sich die Mitglieder der RWTH Aachen gemeinsam dazu bekannt, diese Chance aktiv wahrzunehmen:
Das nachfolgende Kapitel gibt Einblicke in die Forschungs- und Transferstrategie, aktuelle Entwicklungen sowie konkrete Maßnahmen und Projekte.
Für hunderte von Jahren standen Universitäten für das Zusammenspiel von Lehre und Forschung. In den vergangenen Jahren stehen sie darüber hinaus einer Vielfalt verschiedenster Rollenerwartungen und Herausforderungen gegenüber: der Ausbildung einer stetig wachsenden Zahl von Studierenden, dem Schaffen von Wissen und Erkenntnissen, die auch wirtschaftlich eingesetzt werden können, der weiteren Entwicklung der Hochschule als Ort des integrierten, interdisziplinären Arbeitens bei paralleler Förderung der internationalen Vernetzung und Mobilität.
Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, muss sich eine zukunftsweisende Universität durch eine besondere Agilität ausweisen und gleichzeitig zur Verwirklichung der SDGs beitragen. In unserem Antrag zur Exzellenzuniversität „The Integrated Interdisciplinary University of Science and Technology. Knowledge. Impact. Networks.“ haben wir die Ambition der RWTH Aachen, zu einer nachhaltigen Gesellschaft beizutragen und diese mitzugestalten, dargelegt. Dabei ist es notwendig, Nachhaltigkeit ganzheitlich zu verstehen: nur, wenn sich die drei Dimensionen – Ökologie, Ökonomie und Soziales – zusammen entwickeln, wird es gelingen, die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft für kommende Generationen erfolgreich umzusetzen. Die RWTH Aachen leistet dabei durch ihre Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung in vielen Bereichen wesentliche Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung.
Wir haben den Anspruch, nachhaltige Technologien zu entwickeln und die sozialen und ökonomischen Aspekte von Beginn an ganzheitlich mitzudenken. An diesem Maßstab messen wir uns nicht nur in der Forschung, sondern auch beim Technologietransfer und der Innovation. Insbesondere mittels der Förderung von disruptiven Start-ups und Ausgründungen erwarten wir ein reiches Spektrum stimulierender Sprunginnovationen.
Mit unserem Exzellenzanspruch geht auch die Verantwortung einher, eine selbstreflexive und pluralistische Wertedebatte über exzellente Forschung zu führen – innerhalb unserer Lehr- und Forschungsprojekte, aber auch gemeinsam mit weiteren wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Akteur*innen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Unsere Studierenden und Nachwuchswissenschaftler*innen sind ein wichtiger Pfeiler der Veränderung. Sie sind es, die einen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit einfordern und diesen gleich selbst in die Hand nehmen. Diesen Drive möchten wir nutzen, um gemeinsam die nachhaltige Wirkung der RWTH Aachen zu stärken.
Die RWTH Aachen ist bestrebt, ein einzigartiges Bildungs- und Forschungsumfeld zu fördern, das die Konvergenz von Wissen, Ansätzen und Erkenntnissen aus den Geistes-, Wirtschafts-, Ingenieur-, Natur- und Lebenswissenschaften umfasst. Sie bedient sich dabei der starken Forschungsnetzwerke und der intellektuellen Neugier ihrer Mitarbeitenden, um Wissen zu anspruchsvollen wissenschaftlichen Fragestellungen zu generieren, führendes Wissen zu transferieren und Lösungen zu entwickeln, die sich auf heutige und zukünftige Herausforderungen auswirken.
Von allen Mitgliedern der RWTH Aachen wird erwartet, dass sie ihre Forschung mit höchster Integrität und Engagement für Exzellenz betreiben und den Verhaltenskodex der Universität bei allen Interaktionen mit Dritten im Namen der RWTH Aachen befolgen.
Die Exzellenzinitiative von Bund und Ländern bot der RWTH Aachen die einzigartige Möglichkeit, ihr Forschungsprofil durch Stärkung der Naturwissenschaften und Förderung der interdisziplinären Forschung zu schärfen. Dies fördert den stetigen Transformationsprozess der RWTH Aachen zu einer Integrierten Interdisziplinären Technischen Universität. Die Forschungsthemen umfassen u.a. synthetische Kraftstoffe, Datengewinnung, Informatik, Produktionstechnologie, Hochleistungswerkstoffe, Gesundheit, nachwachsende Rohstoffe und Mobilität und werden auch künftig Forschung zum Verständnis komplexer Systeme in den Mittelpunkt stellen.
Grundlage der Forschung an der RWTH Aachen ist eine agile Governance, die sich insbesondere durch die Fähigkeit zur Erneuerung, schnellen Reaktion und Kooperation auszeichnet. In diesem Zusammenhang spielen starke Allianzen eine wichtige Rolle wie die Kooperation mit dem Forschungszentrum Jülich in der Jülich Aachen Research Alliance (JARA). Durch die Schaffung eines einzigartigen, nationalen und internationalen Forschungs-, Bildungs- und Transferumfeldes mit dynamischen Netzwerken werden fachliche und organisatorische Grenzen neu definiert.
Spitzenforschung erfordert Freiraum für neue Ideen und Experimentierfreudigkeit. Mit den Fördermöglichkeiten des Exploratory Research Space (ERS) besteht eine Plattform für Wissenschaftler*innen, die unkonventionelle Forschungsideen gemeinsam entwickeln wollen und in interdisziplinären Forschungsprojekten Grundlagen für weitere, größere Projekte legen möchten. ERS wendet sich an etablierte Forscher*innen ebenso wie an den wissenschaftlichen Nachwuchs und ermöglicht den Dialog zwischen Disziplinen mit konkreten Aktivitäten.
Eine Universität lebt nur von und mit den Menschen, die dort arbeiten, forschen und miteinander kommunizieren. So baut die RWTH Aachen im weltweiten Wettbewerb um herausragende Wissenschaftler*innen ihre proaktive, zielgruppenspezifische Personalgewinnungsstrategie kontinuierlich weiter aus. Dafür ist die Vernetzung untereinander, aber ganz besonders mit Wissenschaftler*innen, der Wirtschaft, Förder*innen und vielen weiteren Akteur*innen unentbehrlich. Offenes Miteinander ist hierbei die Basis für langfristige Beziehungen und eine gute Zusammenarbeit.
Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung ist fest in das Forschungsverständnis der Universität integriert und durchzieht nahezu alle Forschungsbereiche. Dabei kann sich Nachhaltigkeit in der Forschung in unterschiedlichen Ausprägungen zeigen (siehe Abbildung):
Es gibt Projekte, die zu konkreten Nachhaltigkeitsfragen forschen und explizit zu deren Lösung beitragen möchten. Beispielsweise das EU-Projekt „MIX-UP“. Es zielt darauf ab, eine zirkuläre (Bio-)Ökonomie für Kunststoffe zu etablieren.
In Abgrenzung zu dieser unmittelbaren „Nachhaltigkeitsforschung“ befassen sich andere Vorhaben mit der gesellschaftlichen Wirkung von Forschungsergebnissen, betreiben also „Forschung in gesellschaftlicher Verantwortung“ wie beispielsweise das HumTec.
Den größten Bereich macht an der RWTH Aachen jedoch das „Forschen für eine nachhaltige Entwicklung“ aus. In diese Kategorie fallen die vielen Vorhaben, in denen sich die Wissenschaftler*innen in interdisziplinären Teams mit den großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit beschäftigen. Neben den acht Profilbereichen der RWTH Aachen, zählen dazu auch interdisziplinäre Center, wie das Center for Circular Economy (CCE) sowie das Center for Sustainable Hydrogen Systems (CSHS). Im CCE wird ein multidisziplinärer und vernetzter Ansatz zur Kreislaufwirtschaft verfolgt, der Expertise aus allen Fakultäten der RWTH Aachen inhaltlich und strategisch vereint, um umfassende Projekte und gemeinsame Lehre zu ermöglichen. Durch das CSHS wird eine Infrastruktur zur Koordinierung und Sichtbarmachung von Wasserstoffvorhaben zur Substituierung fossiler Brennstoffe zur Realisierung der Dekarbonisierung etabliert und sowohl in Lehre, Forschung als auch Transfer gefördert.
Zur Stärkung der Nachhaltigkeitsorientierung werden Forschungsprojekte und -zentren an der RWTH Aachen in einem ganzheitlichen Ansatz bezüglich verschiedener Aspekte reflektiert:
- Ist das Thema selbst nachhaltig in all seinen Dimensionen? Macht das Thema dauerhaft Sinn?
- Wie ist Nachhaltigkeit, auch im Sinne der Geschlechter- und Chancengerechtigkeit, in der Struktur des Forschungszentrums verankert?
- Was passiert mit großen Verbundprojekten, wie Exzellenzclustern, Sonderforschungsbereichen oder Graduiertenkollegs nach deren Auslaufen?
- Was passiert nach Anschubfinanzierung organisatorisch hinsichtlich langfristiger Sicherung von Stellen?
- Was wird aus Anschubfinanzierungen? Tragen sich Zentren mittelfristig über das jeweilige Thema selbst?
Als „Königlich Rheinisch-Westfälische Polytechnische Schule zu Aachen“ im Jahr 1870 gegründet, um „die Schaffenskraft der Wirtschaft“ zu stärken, steht die RWTH Aachen auch mehr als 150 Jahre später noch für die erfolgreiche Umsetzung dieser Idee. Einer der Eckpfeiler der Hochschulstrategie ist der Transfer von Ergebnissen aus der Grundlagen- und Anwendungsforschung in gesellschaftlich relevante Innovationen. Die Überführung in wirtschaftliche Verwertungsprozesse ist zentral, damit sich die nachhaltige Wirkung universitärer Forschungsergebnisse erst richtig entfalten kann.
Ein Ausdruck der Innovationsstärke ist die gelebte Zusammenarbeit von Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Unternehmen auf dem Campus der RWTH Aachen. Von hier aus findet universitäre Forschung den direkten Weg in konkrete (industrielle) Anwendungsfelder und Produkte und ermöglicht dadurch agile Feedback- und Entwicklungsprozesse. Die RWTH Aachen richtet aktuell einen Technologie-Inkubator ein, um talentierte und motivierte Gründungsinteressierte dabei zu unterstützen, leistungsfähige Technologieunternehmen aufzubauen. Mit jährlich mehr als 75 RWTH-Ausgründungen, zahlreichen Partnerunternehmen, über 190 Erfindungen und einem starken Netzwerk bietet das RWTH Innovation Entrepreneurship Center mit der RWTH Innovation GmbH als operative Struktur alle notwendigen Ressourcen und Kenntnisse, um Gründer*innen und Erfinder*innen zu unterstützen. Mit dem Collective Incubator wurde zudem eine physische Plattform aufgebaut, an dem Studierende mit ihren Initiativen auf Unternehmer*innentum treffen.
Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung orientiert sich an transdisziplinärer und transformativer Nachhaltigkeitsforschung, die in Kooperation mit Transferpartner*innen einen Beitrag zur Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen möglichst einschließlich der Umsetzung anstrebt. Ziel von Nachhaltigkeitstransfer ist es, die Handlungsfähigkeit der Akteur*innen im Hinblick auf Nachhaltigkeit zu stärken, das umfasst Innovationsfähigkeit, vorausschauendes Denken und das Vorsorgeprinzip sowie Problemlösungsfähigkeit (Vgl. Hoch-N-Leitfaden „Transfer für nachhaltige Entwicklung an Hochschulen“, 2021).
Die RWTH Aachen geht voran – und war nicht zuletzt deswegen Teil der Pilotphase für das Transferaudit des Stifterverbandes. Das Transfer-Audit hat der Hochschule geholfen, eine umfassende Strategie abzuleiten. Ähnlich wie beim Handlungsfeld Forschung unterscheidet die RWTH Aachen auch beim nachhaltigen Transfer verschiedene Ebenen.
RWTH understands transfer as the continuous and mutual exchange of ideas, knowledge, technology and people within RWTH, with partner organizations, societal groups and industry.
Zum einen ist die Art, wie Technologietransfer betrieben wird, nachhaltig, wie in vorstehendem Transferverständnis beschrieben. Auch in zeitlicher Hinsicht wird eine nachhaltige Ausrichtung des Transfers durch langfristige Partnerschaften, die konsequente Betreuung von Erfinder*innen und Erfindungen sowie die Erarbeitung von individuellen Verwertungsstrategien gelebt. Zum anderen werden auf inhaltlicher Ebene Nachhaltigkeitsthemen verfolgt, zum Beispiel durch die Zusammenarbeit mit den strategischen Partner*innen der RWTH Aachen, der RWTH Innovation GmbH und den auf dem Campus angesiedelten Unternehmen.
Quantitative Indikatoren, wie beispielsweise Publikationsdaten, zur Erfassung nachhaltiger Forschung haben nur eine bedingte Aussagekraft. Bei der Erfassung nachhaltigkeitsbezogener Projekte würden beispielsweise Forschungsaktivitäten der Institute, die nicht projektbasiert sind, nicht berücksichtigt werden. Außerdem ist vor allem die Wirkung der erarbeiteten Erkenntnisse nicht umfassend messbar. Entsprechend ist es nicht möglich, anhand quantitativer Daten die Forschung mit Bezug zur Nachhaltigkeit an der RWTH Aachen realistisch darzustellen.
Dennoch werden quantitative Kennzahlen herangezogen, um ein erstes Bild der Nachhaltigkeitswirkung der Forschung an der RWTH Aachen zu zeichnen. Ziel ist es, eine Grundlage für weitere Diskussionen und die nachhaltigere Ausrichtung der Hochschule zu bilden. Anhand der Indikatoren soll eine Annäherung an die Stärken und Schwächen der Forschung und des Transfers in Bezug auf Nachhaltigkeit ermöglicht werden.
Ganz konkret wird zum Beispiel bei Drittmittelprojekten abgefragt, ob das Projekt einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leistet. Einerseits soll auf diese Weise ein Reflexionsprozess angestoßen werden, wie man den Aspekt Nachhaltigkeit im Projekt berücksichtigen kann oder wo dieser im Projekt bereits adressiert wird. Andererseits soll mittelfristig eine Annäherung an quantitative Aussagen zur nachhaltigen Wirkung der Projekte an der RWTH Aachen ermöglicht werden, in diesem Fall durch die Drittmittelauswertung.
Eine erste Annäherung zur Erfassung nachhaltiger Forschung an der Hochschule ermöglicht außerdem die Analyse der Publikationen von Wissenschaftler*innen der RWTH Aachen mit Bezug zu den SDGs. Diese wurde vom Bibliometrie-Team der Universitätsbibliothek durchgeführt. Basierend auf bereits definierten Such-Abfragen, die eine Vergleichbarkeit ermöglichen, wird über das Analyse-Tool SciVal eine Visualisierung der Forschungsleistungen, die auf die SDGs einzahlen, ermöglicht. Die Erhebung macht deutlich, dass die RWTH Aachen vor allem im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit stark ist und vergleichsweise überdurchschnittliche Publikationsleistungen sowie Zitationshäufigkeiten erzielt, was auf eine hohe Relevanz der generierten Erkenntnisse schließen lässt (siehe obige Abbildung).
Insbesondere in den Profilbereichen der RWTH (siehe folgender Abschnitt), die einen großen Teil der Forschung an der RWTH Aachen bündeln, werden relevante Forschungsbeiträge erzielt. Exemplarische Projekte werden im folgenden Abschnitt vorgestellt. Eine stetig wachsende Liste an nachhaltigkeitsorientierten Forschungsprojekten ist unter www.nachhaltigkeitslandschaft.rwth-aachen.de zu finden.
Die RWTH Aachen hat ihre interdisziplinäre Forschungslandschaft in acht fakultätsübergreifende Profilbereiche gebündelt, um in interdisziplinären Teams die großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit mit innovativen Ansätzen zu lösen. In diesen Profilbereichen arbeiten Wissenschaftler*innen aus den verschiedenen Disziplinen zusammen, um mit Ergebnissen aus Grundlagen- und angewandter Forschung die Basis für gesellschaftlich relevante Innovationen zu schaffen. Sie koordinieren ihre Forschungstätigkeiten, nutzen modernste Infrastrukturen und bilden mit nationalen und internationalen Partner*innen aus Wissenschaft und Industrie große Forschungsnetzwerke.
Im Profilbereich Mobility & Transport Engineering (MTE) wird zum Beispiel zu nachhaltiger und emissionsarmer Mobilität, zu Verkehrssicherheit, innovativen Mobilitätskonzepten für den ländlichen Raum, automatisierter und vernetzter Mobilität, Verkehrsdatenmanagement und Digitalisierung sowie der Vernetzung von Mobilitäts- und Energiesektor geforscht.
Der Profilbereich Production Engineering (ProdE) entwickelt Konzepte für eine nachhaltige Produktion, zum Beispiel wird unter Berücksichtigung von Prinzipien aus der Biologie eine biologische Transformation der Produktion angestrebt.
Zahlreiche große Verbundvorhaben im Umfeld des Profilbereichs Energy, Chemical and Process Engineering (ECPE) befassen sich mit der nachhaltigen Erzeugung, Speicherung, Nutzung und Verteilung von Energieträgern, allen voran von Wasserstoff.
Mit den Beispielprojekten stellen sich die acht Profilbereiche jeweils mit einem selbst gewählten Projekt vor.