Zahlreiche alte, nicht mehr genutzte Handys werden in Schubladen gehortet und bietet ein großes Rohstoffpotenzial.
Foto: Dietrich Hunold

Circular Economy Made in Aachen

Die RWTH bündelt ihre Expertisen zur Transformation der Kreislaufwirtschaft im Center for Circular Economy (CCE)

Kreislaufwirtschaft ist in aller Munde. Dabei stehen vor allem Recycling und Nachhaltigkeit im Fokus der öffentlichen Debatte. Doch die Transformation unserer linearen Strukturen hin zu einem zirkulären System benötigt weitaus mehr als den umweltbewussten Umgang mit Abfällen. Es braucht ein Umdenken der gesamten Wertschöpfung und unserer Gesellschaft! Zur Umsetzung dieser Vision hat die RWTH Aachen University Ende 2020 das Center for Circular Economy ins Leben gerufen. Das Center soll die Expertise aller Fakultäten bündeln und als Netzwerk von Industrie, Gesellschaft und Wissenschaft die Transformation zur Kreislaufwirtschaft ermöglichen. Mittlerweile sind fakultätsübergreifend 26 Institute und weitere zentrale Einrichtungen der RWTH im CCE aktiv.

Während das Thema Kreislaufwirtschaft den öffentlichen Diskurs prägt, mangelt es derzeit an konkreten Lösungsansätzen. Populäre Konzepte wie Zero Waste erwecken den Anschein einer potenziell abfallfreien Gesellschaft, stellen jedoch keine auf globaler Ebene umsetzbaren Maßnahmen bereit. Das Ziel einer Kreislaufwirtschaft oder „Circular Economy“ (CE) ist vielmehr die Wertschöpfung von langlebigen Gütern sowie die nachhaltige Nutzung und Rückführung von Ressourcen. Der Wert eines Materials, Produkts oder Rohstoffs soll möglichst lange erhalten bleiben. Entlang der Wertschöpfungskette, also von der Gewinnung der Primärressourcen über die Nutzungsphase bis hin zur Entsorgung und Rückführung als Sekundärrohstoff, entstehen dabei idealerweise nur geringfügig Abfälle. Durch den bewussten Umgang mit Ressourcen und Gütern ergeben sich so immense ökologische und ökonomische Potenziale. Im Fokus stehen dabei Maßnahmen im Sinne des „5 R Prinzips“: Refuse, Reduce, Reuse, Repair, Recycle.

Grafik: ANTS/CCE der RWTH Aachen University

Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ist derzeit jedoch lediglich eine Vision. Angesichts der global rasant zunehmenden Mittelklasse und dem Streben nach westlichen Konsumstandards stößt unsere lineare Wirtschaft vor dem Hintergrund der Ressourcenverknappung an ihre Grenzen. Die Verschwendung von Ressourcen in Form von Abfall wird zunehmend ein Luxus. Wie kann also die Transformation zu einer CE gelingen? Welche Hürden muss unsere Gesellschaft überwinden, um Stoffkreisläufe zu schließen? Und welche Rolle spielt das „Center for Circular Economy“ (CCE) der RWTH Aachen University dabei?

Interaktive Kernbereiche

Als transdisziplinäre Plattform soll das Center innovative Lösung für die zirkuläre Wertschöpfung bereitstellen. Neben dem Schließen von Stoffkreisläufen stehen hierbei auch das Überdenken von Ressourceneinsatz, Verlängerung von Produktlebenszyklen, Wiederverwendung, Aufbereitung und Reparatur im Vordergrund. Die Aktivitäten des Centers for Circular Economy sind entsprechend des „5 R-Prinzips“ in die interaktiven Kernbereiche „Material Recirculation“, „Produkt Sustainability“ und „Circular Business Models“ unterteilt.

Grafik: ANTS/CCE der RWTH Aachen University

Der Bereich „Material Recirculation“ umfasst alle Aktivitäten rund um die Rezirkulation von Wertstoffen, wie beispielsweise die Rückführung von Abfallströmen in die Aufbereitung und Wiederverwendung. Komplexe, technische Werkstoffe und Produkte erschweren dabei zunehmend die Herstellung hochwertiger Rezyklate. Nachhaltigkeit muss also bereits in der Produktion und dem Produktdesign ansetzen, um lineare Prozesse zirkulär zu gestalten. Neben den Rohstoffproduzenten stehen somit vor allem auch die Produzenten in der Verantwortung. Diese Aspekte werden im Bereich „Product Sustainability“ aufgenommen. Neben der nachhaltigen Materialbereitstellung gilt es, Produkte langlebig und hochqualitativ zu gestalten, wobei eine angemessene Zerlegbarkeit und Reparaturfähigkeit zu gewährleisten ist. Neben einer guten Verwertbarkeit kann so die Überführung in einen zweiten Produktlebenszyklus ermöglicht werden. Ziel ist es Wertstoffe so lange wie möglich im Kreislauf zu halten, so den primären Rohstoffkonsum zu senken und lineare End-of-Pipe-Ansätze abzulösen. Um diese Langlebigkeit der Produkte wirtschaftlich zu machen, werden wiederum die entsprechenden Rahmenbedingungen benötigt. Es braucht „Circular Business Models“, also Geschäftsmodelle, welche diese Nachhaltigkeit begünstigen und überhaupt erst ermöglichen.

Um eine solche Transformation unserer Wertschöpfung und Gesellschaft zu bewerkstelligen, ist die Expertise und interdisziplinäre Zusammenarbeit aller wissenschaftlichen Fachbereiche gefragt. Entsprechend setzt sich das CCE-Netzwerk aus allen Fakultäten der RWTH Aachen University zusammen. Das Center übernimmt dabei eine Leuchtturm- und Vermittlerfunktion. Als Anlaufstelle der RWTH für den Themenbereich Kreislaufwirtschaft begrüßt das Center die Akteurinnen und Akteure aus Wissenschaft, Industrie, Politik und Gesellschaft und stellt die gebündelte Expertise der einzelnen Lehrstühle und Institute in einem großen Wissenspool bereit. In interdisziplinären Projekten werden so Kernkompetenzen im Bereich der Kreislaufwirtschaft erarbeitet. Als Transfereinheit führt das CCE die erlangten Erkenntnisse in den Pool sowie die Lehre zurück. Ziel ist es unter anderem auch in Zukunft als Institut einen Master in „Circular Economy“ anzubieten.

„Durchschnittlich alle 18 bis 24 Monate tauschen wir unser Smartphone gegen ein neueres Modell. Das alte Gerät landet dann häufig in der Schublade, statt fachgerecht entsorgt zu werden. So werden dem Recycling bis zu 56 verschiedene Rohstoffe vorenthalten.“

Rohstoffpotenzial der Smartphones

Als ein „Leuchtturm“-Projekt der Circular Electronics Arbeitsgruppe des CCE ist die „100 Smartphones“-Sensibilisierungskampagne entstanden. Die Fakultät für Georessourcen und Materialtechnik der RWTH Aachen University bat ihre Mitarbeitenden darum, ihre sogenannten „Schubladenhandys“ abzugeben, um für die Menge an gehorteten Geräten und das dadurch verlorene Rohstoffpotenzial zu sensibilisieren. „Durchschnittlich alle 18 bis 24 Monate tauschen wir unser Smartphone gegen ein neueres Modell. Das alte Gerät landet dann häufig in der Schublade, statt fachgerecht entsorgt zu werden. So werden dem Recycling bis zu 56 verschiedene Rohstoffe vorenthalten – darunter gehören neben den bekannten Basismetallen auch Edelmetalle wie Gold und Palladium und kritische Metalle wie Indium, Gallium und Tantal. Die gesammelten Smartphones dienen nun als Grundlage, um im Einklang mit dem Circular Economy Framework Recyclingprozesse bzw. Prozessketten zu erproben, die möglichst das gesamte Rohstoffpotenzial der Smartphones erschließen,“ erläutert Professor Karl Bernhard Friedrich vom Institut für Metallhüttenkunde und Elektrometallurgie sowie Initiator und Mitbegründer des CCE. Neben Schnittstellen innerhalb der Recyclingprozesskette und Ansätzen zum stofflichen Recycling sollen die Anwendung von Digitalisierungsansätzen als auch die Nutzungs- und Sammlungssituation untersucht werden.

Projektablauf der „100 Smartphones“-Kampagne
Grafik: ANTS/CCE der RWTH Aachen University

Im Rahmen der Sensibilisierungskampagne sollen somit erste (technische) Ansätze entwickelt werden, welche die Kreislaufpotenziale des Smartphones aufzeigen und erschließen. Aus den Ergebnissen sollen konkrete Anforderungen an Entwicklung, Produktion und Nutzung von Smartphones sowie politische Rahmenbedingungen formuliert werden, die die Verschiebung der Circular Economy von einer konzeptionellen auf eine anwendungsorientierte Ebene ermöglichen. Ausgehend der Circular Cities Declaration der Stadt Aachen wird eine Skalierung des RWTH-internen „100 Smartphones“-Projektes auf Stadtebene diskutiert, um auch die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Aachen für diese Thematik zu sensibilisieren.

Als Schnittstelle für Forschung, Industrie, Politik und Gesellschaft hat das CCE seit seiner Gründung 2021 bereits ein beachtliches Netzwerk aufbauen können. In enger Zusammenarbeit mit der Stadt Aachen, Partneruniversitäten und unabhängigen Forschungsinstituten konnte sich das CCE bereits als regionaler Ansprechpartner rund um das Thema Kreislaufwirtschaft etablieren. In einem Kooperationsprojekt mit Industrie und der RWTH Aachen University startete das Center am 05. April ein großangelegtes Konsortial-Benchmarking, in dem aus über 5.000 Unternehmen „Best Practice“-Beispiele zur adäquaten Umsetzung einer funktionellen Kreislaufwirtschaft ermittelt werden sollen. Die Studie soll Ende 2022 bereits erste Erkenntnisse liefern. Das Center veröffentlicht zudem fortlaufend Artikel in Fachmagazinen und repräsentierte die RWTH Aachen University bei der Unterzeichnung der Circular City Declaration seitens der Stadt Aachen. In naher Zukunft soll das CCE als Kompetenzzentrum für Kreislaufwirtschaft Kern eines regionalen Clusters werden und auf nationaler sowie internationaler Ebene innovative Lösungen zur Kreislaufwirtschaft bereitstellt.

– Mohammad Chehadé, Maximilian Rummel