Den Krebstumor effektiver bekämpfen

Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Krebs. Ihre Behandlung steht vor gravierenden Veränderungen – im Sinne der Patientinnen und Patienten. Noch gehen Chemotherapien in der Regel mit schweren Nebenwirkungen einher, weil 99,9 Prozent der Wirkstoffe nicht in den Tumor, sondern in die gesunden Zellen des Körpers gelangen und dort Schäden anrichten. Professor Fabian Kießling will dies ändern. Der Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Molekulare Bildgebung und Sprecher des Profilbereichs Medical Science & Technology (MedST) forscht mit Nano-Substanzen an einer wirksameren, präziseren Verpackung der Chemotherapie. Erste Ergebnisse sind erfolgversprechend: Mit Nano-Substanzen gelangt der Wirkstoff deutlich selektiver in den Tumor als in klassischen Formulierungen – die extrem belastenden Nebenwirkungen lassen sich so also deutlich reduzieren.

Kießlings Forschung geht sogar noch weiter: Wenn die Auswahl und Verlaufskontrolle der Präzisionswirkstoffe durch Integration von Bildgebungsmarkern oder Begleitdiagnostika auch noch personalisiert werden, also auf den Patienten und seine speziellen Tumore adaptiert werden, ließen sich deren Wirksamkeit und Verträglichkeit weiter steigern. In den Laboren des Centers for Biohybrid Medical Systems (CBMS) im Cluster Biomedizintechnik auf dem Campus Melaten wurden erfolgversprechende Ergebnisse erzielt, die nun weiterverfolgt werden wollen.

Kießling gehört zu den anerkanntesten Experten auf seinem Themengebiet. Gemeinsam mit seinem Kollegen Professor Twan Lammers gehört er zu den weltweit einflussreichsten Forschern. Jedes Jahr gibt das Unternehmen Clarivate Analytics eine Liste von Highly Cited Researchern bekannt. Diese Liste zeichnet weltweit 6.000 erstklassige Forscherinnen und Forscher aus, die aufgrund ihrer außergewöhnlichen Forschungsleistung ausgewählt wurden. Um in die Liste der Highly Cited Researchers aufgenommen zu werden, müssen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den letzten Jahren wissenschaftliche Studien veröffentlicht haben, die in der Wissenschaft viel beachtet und damit sehr häufig zitiert wurden. Darunter eben auch Kießling und Lammers.

Die Professoren Kießling und Lammers konnten gemeinsam das Graduiertenkolleg ­„Tumor-Targeted Drug Delivery“ – ebenfalls mit dem Ziel einer effizienteren Tumorbehandlung – einwerben. Die beiden arbeiten Hand in Hand. Lammers, Leiter des Lehr- und Forschungsgebiets „Nanomedizin und Theranostik“ am Institut für Experimentelle Molekulare Bildgebung, befasst sich mit dem Problem, dass potenziell sehr gute Wirkstoffe in der Tumortherapie nicht zur Anwendung kommen, wenn an den klinischen Studien Menschen teilnehmen, bei denen diese Stoffe grundsätzlich nicht anschlagen. Er will Patientinnen und Patienten im Vorfeld der entscheidenden Studien gezielter identifizieren, um die geeigneten Wirkstoffe in der Therapie einsetzen zu können. Für seinen Ansatz wurden ihm vom Europäischen Forschungsrat (ERC) ein Starting Grant, ein Consolidator Grant und zwei Proof-of-Concept-Grants zugesprochen.

Lammers konzentriert sich auf unterschiedliche Wirkstofftransportsysteme, in den letzten Jahren vor allem auf polymere Mizellen. Diese integrierten Biomarker ermöglichen die ­Personalisierung von Patientinnen und Patienten und erlauben von vornherein die Auswahl derer, die auf eine Mizellen-Therapie positiv reagieren.

„Dann könnten Behandlungsraten und Lebenszeiten deutlich verbessert werden“, sagt Lammers. Zusätzliches Ziel ist die Untersuchung der Wirkstoffpenetration, bei der Nanopartikel in das Tumorgewebe eindringen. Die Mizellen sollen mittels Ko-Beladung mit penetrationsfördernden pharmakologischen Wirkstoffen tiefer in die Tumoren und Metastasen eindringen, um so besser einen Großteil der Tumorzellen erreichen zu können.

Das ist auch Kießlings geradezu greifbares Ziel. Die Grundlagenforschung war erfolgreich, theoretisch stehen diese Möglichkeiten der Medizin zur Verfügung. „Durch die intensive Kooperation mit Ärztinnen und Ärzten der Uniklinik RWTH Aachen haben wir ein herausragendes Umfeld, um neue Technologien und Behandlungsverfahren vom Konzept in die klinische Anwendung zu begleiten“, erklärt er. Doch es fehlt sowohl an der Finanzierung von Vorstudien zur Produktion dieser Arzneien, als auch an klinischen Studien der sogenannten Phase I, in der die Verträglichkeit und die versprochene Anreicherung der Wirkstoffe in den Tumoren überprüft werden.

Die präklinischen Vorstudien kosten rund zwei Millionen Euro, die klinischen Studien – abhängig von der Phase – zwischen zwei und acht Millionen Euro. Nach erfolgreichem „Proof of Concept“ in den Phasen I und II finden sich erfahrungsgemäß Pharma-Firmen, die darin investieren und die Therapien in den klinischen Alltag bringen. Eine echte Finanzierungslücke besteht aber an der Grenze zwischen Grundlagenforschung und klinischen Studien. „Mit wenigen Millionen Euro könnte man unseren nanotechnologischen Lösungen für die Chemotherapiebehandlung zum Durchbruch verhelfen, Nebenwirkungen der Chemotherapeutika senken und deren Wirksamkeit massiv erhöhen – buchstäblich zum Wohl des Menschen, und zwar jedes einzelnen Erkrankten“, erklären die beiden Aachener Professoren.

Förderoptionen

Mit einer Gesamtförderung von 4 Millionen Euro könnte die klinische Einführung Integrin-spezifischer Ultraschallkontrastmittel zur besseren Diagnostik von Tumoren und entzündlichen Darmerkrankungen führen.

„Unsere polymeren Target-spezifischen Mikrobläschen können nach Injektion in die Blutbahn an therapieentscheidende Krankheitsmarker binden und hochsensitiv mit Ultraschall erfasst werden. Ein gegen den Angiogenese- und Entzündungsmarker (alpha-v-beta3) gerichtetes Mikrobläschen wurde inzwischen intensiv im Klein- und Großtier getestet und für die klinische Erprobung optimiert. Leider gibt es wenige Fördermöglichkeiten, diesen letzten wichtigen Schritt zu realisieren, der eine GMP-Produktion der Substanz, eine Toxizitätstestung in zertifizierten Laboratorien sowie die Phase I der klinischen Prüfung beinhaltet“, erläutern die Professoren Fabian Kießling und Twan Lammers.

Ein angestrebter Meilenstein ist die Klinische Translation und deren erste Anwendung im Menschen zur Diagnostik entzündlicher Darmerkrankungen und von Tumoren. Die langfristige Chance besteht darin, dass molekulare, Integrin-spezifische Kontrastmittel die Erkennung, Verlaufsbeobachtung und Therapie verschiedener entzündlicher Erkrankungen und von Tumoren signifikant verbessern.

Für die Überführung der Labormuster in GPM-konforme Integrinbindende Ultraschallkontrastmittel werden schätzungsweise 500.000 Euro benötigt, die präklinische Toxizitätsuntersuchung wird etwa eine Millionen Euro kosten und das Bestätigungsexperiment im relevanten Tiermodell erfordert circa 500.000 Euro. Für die Dosisfindung und Toxizitätsbeurteilung in Probanden und Patienten werden 1,5 bis 2 Millionen Euro benötigt.

Mit einer Gesamtfördersumme von 10 Millionen Euro könnte die klinische Einführung Wirkstoff-beladener polymerer Mizellen zur besseren Therapie von Tumoren ermöglicht werden.

Die langfristige Wirkung beziehungsweise Chance besteht darin, dass die Entwicklung von wirkstoffbeladenen Mizellen zur effektiveren und verträglicheren Behandlung von Krebspatienten und -patientinnen mittels einer Kombination von Nano-Chemotherapie und Immuntherapie führen wird.

Der Nachweis der präklinischen Effektivität von wirkstoffbeladenen Mizellen in Kombination mit Immuntherapie in mehreren klinisch relevanten Mausmodellen kostet etwa 1 Million Euro. Für eine präklinische Toxizitätstestung in einem zertifizierten Labor wird auch rund 1 Million Euro benötigt. Für eine Phase-I-Studie zur Bestimmung der Pharmakokinetik und Verträglichkeit wirkstoffbeladener Mizellen in Krebspatienten und -patientinnen werden 2 Millionen Euro benötigt.

Eine Phase-IIa/b-Studie dient dazu, erste Hinweise auf eine Verbesserung der Effektivität zu erzielen und ist heutzutage erfahrungsgemäß notwendig, um das Interesse von Pharma-Firmen zu wecken. Im Idealfall wird diese schon in Kombination mit Immuntherapie durchgeführt und wird dann schätzungsweise 5 bis 6 Millionen Euro kosten.

„Mittels unserer Mizell-Technologie wollen wir sowohl die Personalisierung von Nanotherapien realisieren, wie auch die Effektivität von Krebs-Immuntherapien verbessern.“

Univ.-Prof. Dr. sc. hum. Twan Lammers

Vita

Univ.-Prof. Dr. sc. hum. Twan Lammers

Univ.-Prof. Dr. sc. hum. Twan Lammers, geboren 1979, leitet das Lehr- und Forschungsgebiet für Nanomedizin und Theranostik am Lehrstuhl für Experimentelle Molekulare Bild­gebung. Er hat in Utrecht studiert und in Heidelberg und Utrecht promoviert. Er ist im Vorstand des weltgrößten Verbandes für Wirkstofftransportforschung (CRS), wurde mehrmals von dem Europäischen Forschungsrat (ERC) mit Grants ausgezeichnet, ist Ko-­Sprecher des DFG-geförderten Graduiertenkollegs Tumor-Targeted Drug Delivery und nach ­Clarivate Analytics ein Highly Cited Researcher.


Wie Nanowirkstoffe in der Krebstherapie helfen

Die Illustration zeigt die Vorteile von Nanowirkstoffen: Während freie Wirkstoffe sich stark in gesundem Gewebe anreichern, akkumulieren Nanowirkstoffe vorwiegend in Geweben mit erhöhter Gefäßpermeabilität. Ein aktives Targeting der Wirkstoffe kann deren Retention, also Verbleib, im Gewebe und die Aufnahme durch die Zielzellen weiter erhöhen. Zusätzlich können externe Stimuli eingesetzt werden, um die Gewebepenetration der Wirkstoffträger zu verbessern. Im Institut für Experimentelle Molekulare Bildgebung ­werden dazu Kontrastmittel und Wirkstoffträgersysteme hergestellt: a-b) PBCA- basierte polymere Mikrobläschen können für funktionelle und molekulare Bildgebung, zur Erhöhung der Perfusion und Permeabilität von Blutgefäßen benutzt werden, und als Wirkstoffträger eingesetzt werden. c-d) PEG-pHPMA-basierte polymere Mizellen werden für den in-vivo-Transport von chemotherapeutischen und anti-inflammatorischen Wirkstoffen und die Verkapselung von Kontrastmitteln benutzt.

„Unsere Forschung an neuen Bildgebungsverfahren, Wirkstoffträgersystemen und Theranostik macht es möglich, Krebsentstehung und Progression im Körper frühzeitig und hochaufgelöst sichtbar zu machen und unter Verwendung nanotechnologischer Lösungen maßgeschneiderte Behandlungskonzepte zu ­entwickeln.“

Univ.-Prof. Dr. med. Fabian Kießling

Vita

Univ.-Prof. Dr. med. Fabian Kießling

Univ.-Prof. Dr. med. Fabian Kießling, geboren 1972, ist Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Molekulare Bildgebung und Leiter des gleichnamigen Instituts. Er hat in Heidelberg studiert, promoviert und sich am Deutschen Krebsforschungszentrum habilitiert. Er ist Sprecher des DFG-geförderten Graduiertenkollegs Tumor-Targeted Drug Delivery, Sprecher des Profilbereichs „Medical Science and Technology“ der RWTH, Highly Cited Researcher (Clarivate Analytics) und nach Expertscape unter den zehn führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Molekularer Bildgebung und Nanomedizin weltweit.