Maßgeschneiderte Biobausteine als Innovatoren
Wäre es nicht toll, wenn man eine Pflanze düngen könnte mit einem Stoff, der nur auf den Blättern kleben bleibt, aber nicht an der Frucht? Der einen dauerhaften Schutzfilm produziert, der nur bei Regen und Feuchtigkeit Wirkstoffe abgibt, um Schädlinge zu bekämpfen? Ja, es wäre nicht nur toll, es wäre der Traum vieler Landwirtinnen und Landwirte. Denn der Status quo ist noch ein anderer: Da wird ein Pestizid auf die ganze Pflanze gespritzt – und wäscht mit dem ersten Regen aus. Da werden Pflanzen mit schädlichen Umweltfolgen überdüngt, weil der Wirkstoff weder gezielt noch wohldosiert aufgetragen werden kann, noch seine Wirkung in Abhängigkeit von äußeren Faktoren wie dem Wetter gesteuert werden kann. „Um mit weniger Pestizid-Einsatz mehr zu erreichen, bräuchten wir smartere Wirkstoffe, die sich gezielt nur an jene Pflanzenteile binden, in denen die Stoffe wirken sollen“, sagt Professor Ulrich Schwaneberg, Leiter des Instituts für Biotechnologie.
Schwaneberg und sein Team wollen den skizzierten Wunsch der Landwirtschaft schon morgen Realität werden lassen. Ähnlich wie bei Waschmitteln, in denen bereits maßgeschneiderte Bausteine zu einer signifikanten Verringerung der Einsatzmenge geführt haben. „Die Menschheit war erfinderisch und hat unglaublich viele, gute Wirkstoffe gefunden oder erfunden für die mannigfachsten Anwendungen. Ihr reiches Potenzial wird bisher wenig effizient genutzt, egal wo, ob in der Textilindustrie, Medizintechnik oder der Landwirtschaft, weil die Auftragung der Wirkstoffe wenig effektiv ist“, sagt er. Sein Ansatz ist effizient: Er hat sogenannte Peptide erschaffen, mit denen er Container dekorieren kann, die mit allen möglichen Wirkstoffen beladen werden können und deren Freisetzung nahezu beliebig nach den konkreten Bedürfnissen der Anwender steuerbar ist: in der Landwirtschaft, aber genauso für weitere Industrien.
Die ersten Resultate sind umwerfend: zehn Mal weniger Pestizide in der Landwirtschaft, mehr als 20 Mal verbesserte Biobausteine für Produktionsprozesse von Chemikalien und Konsumgütern. Selbst in der Medizin sind zahlreiche Anwendungen denkbar, beispielsweise auf Oberflächen von Medizinprodukten – zum Beispiel bei Implantaten wie Kathetersystemen oder Wundpflaster, die prophylaktisch mit keimtötenden Wirkstoffen ausgerüstet sind, um nachträgliche Entzündungen zu verhindern. Eine skalierbare Produktionstechnik für diese maßgeschneiderten Biofunktionsbaukästen wird derzeit gemeinsam mit Professor Thomas Bergs und Dr. Sebastian Barth vom Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH entwickelt. Bereits ein Gramm des Biofunktionsbausteins genügt, um mehr als 250 Quadratmeter Oberfläche auszurüsten.
Die Expertise der Arbeitsgruppe Schwaneberg liegt im Protein Engineering mit evolutiven und rationalen Methoden. Die Methoden der Gelenkten Evolution wurden 2018 mit dem Nobelpreis in Chemie ausgezeichnet. Die AG Schwaneberg nimmt auf dem Gebiet der Gelenkten Evolution weltweit eine führende Rolle ein. Die Forschung ist in fünf Abteilungen gegliedert mit dem Ziel, die Methoden der Gelenkten Evolution zu verbessern, neue Designprinzipien von Proteinen aufzufinden und die Translationsforschung für interaktive Materialien, Biokatalyse und Bioökonomie zu fördern. Diese könnten vielfältig eingesetzt werden: für die Pflanzengesundheit, in der Medizin, in Textilien und weiteren Bereichen.
In hier entwickelten Evolutionsstrategien wie KnowVolution werden computerunterstützte und experimentelle Ansätze kombiniert, um ein effizientes Proteindesign und molekulares Verständnis der verbesserten Proteineigenschaft zu ermöglichen. Es können Millionen an Varianten von Biobausteinen in zwei bis drei Stunden generiert und an einem Tag auf ihre Eignung geprüft werden.
Die Abteilung Biohybride Systeme entwickelt und optimiert Proteine, Enzyme und Peptide für den Einsatz in Biohybridmaterialien mit maßgeschneiderten Eigenschaften und Funktionalitäten. Zweifelsohne eine Schlüsseltechnologie. Für den Ansatz, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Agrarwirtschaft zu reduzieren, wurde Schwaneberg zusammen mit dem Mitarbeiter Dr. Felix Jakob und dem Kollegen Professor Andrij Pich (Lehr- und Forschungsgebiet Funktionale und Interaktive Polymere und DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien e.V.) unter anderem mit dem Innovationspreis 2018 der BioRegionen Deutschland ausgezeichnet. Ferner komplettiert Professor Uwe Conrath (Lehr- und Forschungsgebiet Biochemie und Molekularbiologie der Pflanzen) das Team für Anwendungen in der Pflanzengesundheit.
Schwaneberg spricht wie auch das Wissenschaftsjournal Science von einer Schatzkiste voller neuer Möglichkeiten mit maßgeschneiderten Biobausteinen – zu Recht. Denn sie könnte helfen, Milliarden Tonnen an Wirkstoffen und damit wertvollen Ressourcen zu sparen, die Effektivität der Anwendungen deutlich zu erhöhen und gleichzeitig – wie zum Beispiel durch reduzierten Düngereinsatz – die Umwelt maßgeblich zu entlasten.
Förderoptionen
„Jeder von uns benutzt täglich ein biotechnologisches oder biotechnologisch hergestelltes Produkt – Bioethanol, Waschmittel, Nahrungsmittel. Die millionenfach beschleunigte Evolution von Biobausteinen im Labor ermöglicht uns, diese nachhaltig für gesellschaftlichen Wohlstand zu nutzen. Let us go beyond nature.“
Vita
Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Ulrich Schwaneberg
Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Ulrich Schwaneberg, geboren 1969, ist Lehrstuhlinhaber für Biotechnologie, Leiter des gleichnamigen Instituts und Mitglied der wissenschaftlichen Leitung des DWI – Leibniz-Instituts für Interaktive Materialien e.V. Er promovierte in Stuttgart und wurde nach einem Post-Doc-Aufenthalt am Caltech (bei Professorin Frances H. Arnold; Nobelpreisträgerin 2018) zum Professor zunächst an der Jacobs Universität Bremen berufen, von wo aus er nach Aachen ging. 2016 wurde er mit dem BMBF-Forschungspreis für die nächste Generation biotechnologischer Prozesse (1,75 Millionen Euro) ausgezeichnet. Er ist Gründervater und leitet unter anderem zwei Innovationslabore im Strukturwandel.
Wie sich Adhäsionsvermittlerpeptide an Blätter binden
Adhäsionsvermittlerpeptides (AvP) sorgen über Seitenketten des AvP, wie die Härchen eines Geckos, für eine feste Anbindung an Oberflächen. Die Natur bietet 20 verschiedene Bausteine an, so dass bereits mit sechs Bausteinen 64 Millionen verschiedene Peptide natürlich vorkommen können. Diese Vielfalt erklärt, wieso feste Anbindungen an unterschiedlichste Oberflächen möglich sind. Es gibt verschiedene Anwendungsmöglichkeiten von AvP in der Pflanzengesundheit. Die Technologieplattformen greenRelease und BiFuProts haben gemeinsam, dass das AvP sich regenfest an die Wachsschicht von Blättern bindet und das Wachstum und die Photosyntheseleistung der Pflanze nicht reduziert. Die Systeme sind vollständig biologisch abbaubar und ermöglichen, mit weniger Pestizid mehr zu erreichen.