Der neue UNESCO Lehrstuhl ist eine internationale Auszeichnung, die Professorin Christa Reicher zusätzlich zu ihrem bestehenden Lehrstuhl erhält.
Heike Lachmann

RWTH erhält UNESCO-Lehrstuhl für Kulturerbe und Städtebau

Wie können gewachsene architektonische Strukturen und städtisches Erbe in Zeiten von Klimawandel und Landflucht bewahrt bleiben?

Die UNESCO hat gemeinsam mit der RWTH Aachen den UNESCO-Lehrstuhl für Kulturerbe und Städtebau unter Leitung von Professorin Christa Reicher eingerichtet. Damit tragen in Deutschland mittlerweile 16 UNESCO-Lehrstühle zur Umsetzung der Globalen Nachhaltigkeitsagenda bei. 2015 haben Staats- und Regierungschefs die Agenda „2030 für nachhaltige Entwicklung“ zur Umsetzung von 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals / SDGs) in New York verabschiedet.

Der neue UNESCO Lehrstuhl ist eine internationale Auszeichnung, die Professorin Christa Reicher zusätzlich zu ihrem bestehenden Lehrstuhl für Städtebau und Entwerfen und Institut für Städtebau und europäische Urbanistik der RWTH Aachen erhält.

Eröffnung im Krönungssaal

Am 31. März 2023 ist der neue UNESCO-Lehrstuhl im Beisein von mehr als 200 geladenen Gästen aus dem In- und Ausland im Krönungssaal des Aachener Rathauses feierlich eröffnet worden. Der Veranstaltungsort in der Nachbarschaft des Aachener Doms, der als erste Kulturstätte Deutschlands in die UNESCO-Welterbeliste eingetragen wurde, war äußerst passend gewählt, wie die Oberbürgermeisterin der Stadt Aachen Sibylle Keupen in ihren Begrüßungsworten anmerkte. Professor Ulrich Rüdiger betonte als Rektor der RWTH Aachen die Relevanz des Schulterschlusses zwischen Stadt und Universität sowie die Bedeutung des neuen UNESCO-Lehrstuhls für die Nachhaltigkeitsstrategie der RWTH insgesamt. Professor Alexander Markschies, Prodekan der Fakultät für Architektur, ergänzte diesen Aspekt mit dem Fokus auf Architektur und kulturelles Erbe. Dr. Roman Luckscheiter, Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission, hat in seinem Begrüßungsvortrag die Bedeutung und die Verantwortung des UNESCO-Lehrstuhl mit dem Blick auf die nationalen und globalen Herausforderungen hervorgehoben.

Zwei Diskussionsrunden

Professor Kunibert Wachten, ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Städtebau und Landesplanung an der RWTH Aachen, hielt den Festvortrag. Im Rückblick wie auch in der Perspektive nach vorne skizzierte er eindrücklich die Rolle des kulturellen Erbes für die Stadtentwicklung. Darauf nahmen im Anschluss zwei Diskussionsrunden Bezug: Die erste Gesprächsrunde, moderiert von Dr. Jürgen Tietz aus Berlin, mit Dr. Birgitta Ringbeck, Prof. Dr. Hans-Peter Noll, Dr. Jan Richarz, Michael von der Mühlen, Prof. Dr. Christian Raabe, Cornelia Zuschke und Drs. Hans Hoorn hat sich der Bedeutung des kulturellen Erbes im Hinblick auf seine identitätsstiftende Wirkung und auf Nachhaltigkeit insgesamt gewidmet. In der zweiten Runde, moderiert von Dr. Maram Tawil aus Amman, mit Prof. Ercan Airbas, Prof. Dr. Reiner Finkeldey, Dr. Irene Wiese-von Ofen, Dr. Markus Naser, Prof. Dr. Jorge Pena Díaz und Dr. Siné Diakrité, standen Fragen des interdisziplinären und internationalen Erfahrungsaustausches im Fokus.

Bereits Vorhaben mit konkreter Struktur

In ihrem Vortrag „Ist gestern das neue Morgen?“ hat Professorin Christa Reicher dargestellt, welchen Fragen sich der UNESCO-Lehrstuhl widmen will. Das bestehende Netzwerk mit lokalen, nationalen und internationalen Kooperationspartnern soll in Lehre und Forschung weiter ausgebaut werden. Einige der Vorhaben haben bereits während der anderthalbjährigen Bewerbungsphase um den UNESCO-Lehrstuhl eine konkrete Struktur angenommen: die nationalen Projekte „Lebenswerte Zukunft Zollverein-Nordstern“ gemeinsam mit den Städten Essen und Gelsenkirchen und das Fortbildungsprogramm zur Städtebaulichen Denkmalpflege mit der Stadt Rothenburg ob der Tauber. Aber auch grenzüberschreitende Projekte wie das „NEUE REGIONALE BAUHAUS“, das demnächst in der niederländischen Gemeinde Heerlen als deutsch-niederländische Initiative mit einem gemeinsamen Studiengang „Transforming City Regions“ der RWTH Aachen und den niederländischen Hochschulen an den Start geht, und die CLIMATE WUNDERKAMMER im Rahmen der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig sind vielversprechend und stärken die längst überfällige disziplinäre Grenzüberschreitung in Forschung und Lehre.

„Weltweit zieht es immer mehr Menschen in die Städte“, erklärt die Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission Professorin Dr. Maria Böhmer. „Sie sind heute ebenso dynamisch wie komplex, sehen sich aber vor wachsende Herausforderungen gestellt. Klimawandel und Landflucht, Ressourcenmanagement und Resilienz sind die großen Themen, mit denen die Stadtentwicklung konfrontiert ist. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie gewachsene Strukturen und das städtische Erbe bewahrt werden können“, so Böhmer weiter. „Ich freue mich, dass mit Christa Reicher eine ausgewiesene Expertin und exzellente Wissenschaftlerin am neuen UNESCO-Lehrstuhl in Aachen dazu forschen wird.“

Gebündelte Expertise und interkultureller Dialog

Der Aachener UNESCO-Lehrstuhl arbeitet zu den Themen Stadtgestaltung, Baukultur und der Bewahrung des städtischen Erbes, wie die im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung aufgerufenen Projekte eindrücklich zeigen. Dabei spielt nicht nur die gebaute Umwelt eine Rolle, sondern auch Fragen des sozialen Miteinanders und die Zusammenhänge zwischen Stadt und Land. Der Lehrstuhl nimmt vom Quartier bis zum Stadtteil, von der Stadt bis zur Region verschiedene Ebenen in den Blick, um ebenso nachhaltige wie inklusive Perspektiven für urbane Räume zu entwickeln.

„In dem nationalen und internationalen Diskurs über die Weiterentwicklung von Quartieren, Städten und Regionen haben wir vielfach feststellen können, dass den Aspekten des Kulturerbes keine hinreichende Bedeutung zukommt. Dabei lassen sich Fragen der Identität und Zukunftsfähigkeit nur in einem engen Schulterschluss mit der baulichen und kulturellen Herkunft des Ortes fundiert beantworten. Mit der Etablierung des UNESCO-Lehrstuhls für Kulturerbe und Städtebau wollen wir die am Lehrstuhl gebündelte Expertise auf ein neues Level heben und den interkulturellen Dialog mit Institutionen in den Ländern des Globalen Südens ausbauen“, sagt Professorin Christa Reicher.  

RWTH-Rektor Professor Ulrich Rüdiger ergänzt: „Die Einrichtung des UNESCO-Lehrstuhls belegt, dass die RWTH Aachen dem enormen Bedeutungszuwachs, den Nachhaltigkeit und Ressourcenmanagement erfahren haben, auf unterschiedlichsten Feldern gerecht wird. Mit der Forschung von Professorin Christa Reicher werden wir fortan einen weiteren Beitrag zu einer klimagerechten Entwicklung der Innenstädte leisten. Das Projekt passt hervorragend zu unserer Verpflichtung, den bestmöglichen Beitrag zu einer zukunftsorientierten Gestaltung von Wissenschaft und Gesellschaft zu leisten.“

Hintergrund

Im weltumspannenden Netzwerk der UNESCO Lehrstühle kooperieren über 900 UNESCO-Lehrstühle in mehr als 110 Ländern, um die Ziele der UNESCO in Wissenschaft und Bildung zu verankern. In Deutschland gibt es 16 UNESCO-Lehrstühle. Sie zeichnen sich durch herausragende Forschung und Lehre in den Arbeitsgebieten der UNESCO aus. Zu den Prinzipien ihrer Arbeit gehören die internationale Vernetzung, insbesondere im Nord-Süd- und Nord-Süd-Süd-Bereich, sowie die Förderung des interkulturellen Dialogs. UNESCO-Lehrstühle stärken durch ihre Arbeit die Kooperation mit Hochschulen, anderen Forschungseinrichtungen und gesellschaftlichen Akteuren in Ländern des Globalen Südens, in Deutschland und in Europa. Sie tragen weltweit dazu bei, Wissen zu schaffen, zu verbreiten und zur Anwendung zu bringen, um nachhaltige Entwicklung zu fördern.

Quellen: Deutsche UNESCO-Kommission / RWTH Aachen

Fotos: Heike Lachmann

 

– Autor: Dietrich Hunold