Revolutionäre Chips aus Europa
Das „Internet of Things“, also das Internet der Dinge, kommt. Es ist Ausdruck einer zunehmend digitalisierten Welt. Und diese Welt braucht mehr Strom denn je. Zur Veranschaulichung: Schon jetzt verbrauchen die Rechenzentren in Frankfurt am Main mehr Strom als der gesamte Frankfurter Flughafen. Schon jetzt steht der Energieverbrauch für IT bei 15 Prozent des Gesamtverbrauchs in Deutschland, Tendenz steigend. Allein das Internet of Things wird eher früher als später mehr als zehn Prozent der Bruttostromerzeugung in Deutschland, und damit mehr Strom als Deutschland gerade mit Wind- und Solarkraft erzeugt, benötigen. Hinzu kommen Autonomes Fahren und die vielen Anwendungen Künstlicher Intelligenz, alles gewaltige Faktoren. Stehen wir am Ende vor der Frage: Klimaschutz oder technischer Fortschritt?
Nein! Es muss stattdessen heißen: Klimaschutz durch technischen Fortschritt! Davon sind die Professoren Matthias Wuttig, Max Lemme und Rainer Waser überzeugt. Denn es gibt alles verändernde Forschungsansätze. Sie verfolgen diese. Am Anfang steht die Frage: Wieso verbraucht IT so viel Strom?
Der Großteil des Verbrauches rührt daher, dass die Daten zwischen Prozessor und Speicher hin- und hergeschoben werden müssen. Und die Geschwindigkeit des Austausches ist auch noch begrenzt vom sogenannten Neumann-Bottleneck. Dabei braucht es für KI-Anwendungen höchste Geschwindigkeiten, beim autonomen Fahren müssen Entscheidungen nahezu in Echtzeit getroffen werden. Braucht es am Ende sogar noch mehr Energie?
Der revolutionäre Forschungsansatz „In-Memory-Computing“ von Professor Rainer Waser verspricht hier Abhilfe. Mit der Grundlagenforschung für sogenannte memristive Bauteile, die das Rechnen bereits im Speicher erlauben und damit das energieintensive Hin- und Herschieben vermeiden, kann der Stromverbrauch auf einen Bruchteil reduziert werden: theoretisch eine Reduktion um ein bis zwei Größenordnungen des ursprünglichen Verbrauchs! Und die Geschwindigkeit des Rechnens wird auch noch deutlich erhöht. Bereits die Grundarchitektur der Rechner mit ihren Einsen und Nullen könnte ersetzt werden, da diese neuen Bauteile mehr als nur zwei Zustände annehmen können. Bisherige Systeme sind binär, weil sie nur zwischen „an“ und „aus“, zwischen „0“ und „1“ unterscheiden können. Die nächste Generation kann dann ganz anders aufgebaut werden. Sie ist „bio-inspired“: Es sollen neuromorphe Netzwerke sein, die ähnlich aufgebaut sind wie das menschliche Hirn.
Das geht schon heute mit klassischen Rechner-Bauteilen, allerdings nur über sehr teure Umwege. Google hat ein künstliches neuronales Netzwerk entwickelt – und es damit auch erstmals möglich gemacht, einen Menschen im Brettspiel „Go“ zu schlagen. Die Kosten sind allerdings immens: Der Rechner verschlingt 200.000 Watt, sein Gegner, das menschliche Hirn, nur 20 Watt. Wasers Ziel: Rechner so effizient zu machen wie das menschliche Hirn!
Der Leibniz-Preisträger und Leiter des Instituts für Werkstoffe der Elektrotechnik II könnte mit einer großzügigen Förderung die Forschung an diesem Projekt beschleunigen, um früher die nächste Stufe technologischer Reife zu erreichen. Mit mehr Empirik und Modellbildung zu mehr Prädiktion und Zuverlässigkeit, um die Möglichkeiten der neuen Architektur auszuloten.
Nur eine Atomschicht „dick“: das Wundermaterial Graphen
Dazu würde auch die Forschung von Professor Max Lemme beitragen, der an einem Material forscht, aus dem viel bessere Chips gebaut werden könnten als heutzutage. Es heißt Graphen. Dieses Graphen kann man sich wie den Grafit eines Bleistifts vorstellen, der wie ein Spielkartenhaufen zusammengepresst wurde. Jede Spielkarte davon wäre hauchdünn. Und alles andere als Spielerei. Lemme trägt mit seiner Graphen-Forschung tatsächlich zur Entwicklung einer ganz neuen Werkstoffklasse bei: die sogenannten 2D-Werkstoffe, die aus nur einer Ebene bestehen, welche lediglich eine Atomlage dick ist. „Diese neuen Materialien haben faszinierende Eigenschaften für die Chip-Industrie: Sie sind unglaublich leitfähig, transparent, flexibel, undurchlässig für Moleküle – Graphen ist das festeste Material der Welt“, erläutert der Professor für Elektronische Bauelemente. Solche Materialforschung ist ein Schlüssel zu zukünftigen Rechnerstrukturen, um für spezifische Anwendungen das perfekte Material auszuwählen. Und genau hier hat sein Kollege Professor Matthias Wuttig, Leiter des I. Physikalischen Instituts (IA), bereits Herausragendes geleistet.
Seit Jahrzehnten war vorherrschend Lehrmeinung in der Chemie, dass es nur fünf verschiedene Verbindungsformen von Elementen gibt. ERC-Preisträger Wuttig hat eine sechste entdeckt: metavalente Bindungen. Er will dieser Erkenntnis zum Durchbruch verhelfen, die einen Paradigmenwechsel in der Chemie darstellt – und im Materialdesign einer Revolution gleichkommt. Denn Wuttig hat mit Experimenten und Theoriebildung eine Art Schatzkarte entworfen, mit deren Hilfe er Auskunft darüber geben kann, welche Materialverbindungen für bestimmte Anwendungen die allerbesten sind. Und ganz einfach gesagt und jeden Tag erlebbar: was Atome in Festkörpern überhaupt zusammenhält.
Eine Bestätigung seiner Forschung findet er in der Angewandten Informatik. Seine ersten Materialmodelle für besonders schnelle Prozessoren decken sich mit den Erkenntnissen der Informatikerinnen und Informatiker. Mit der Schatzkarte kann er beispielsweise berechnen, dass noch 200 Prozent Leistungssteigerung mit bestimmten Materialveränderungen möglich sind. Das bedeutet einen Riesenfortschritt, da bisher nach dem Modell „cook and look“ deutlich weniger zielgerichtet und damit aufwendiger experimentiert werden musste. Immense Arbeitsersparnisse für Experimente bringen auch seine Ausschlusskriterien: Er kann vorhersagen, welche Materialien nicht sinnvoll oder gar kontraproduktiv für bestimmte Anwendungen sind.
Seine Schatzkarte reduziert Wuttig keineswegs auf Anwendungen in der Informatik. Sie ist grundlegend und für den Einsatz aller Materialverbindungen anwendbar. Diese Schatzkarte soll einen gesellschaftlichen Nutzen haben, der gigantisch sein wird. Für die Verfeinerung dieser Schatzkarte als auch für weitere Beweisführungen in angrenzenden Bereichen sucht der Wissenschaftler noch eine Förderung von 3 Millionen Euro – um den Paradigmenwechsel in der Chemie ins Lehrbuch für Anfänger zu bringen und die Anwendung in die Praxis der Materialforschung, mit hohen Effizienzgewinnen in der Herstellung sämtlicher Güter.
Drei Forscher der RWTH, ein Ziel: revolutionäre Chips, made in Europe
Das gemeinsame mittelfristige Ziel ist eine Forschungs-Foundry, mit der neuartige Halbleiter-Chips mit memristiven Bauteilen in Aachen produziert werden können, die mit 100 Millionen Euro angeschoben werden kann. Eine derartige Produktionsanlage im industriellen Maßstab kann über zehn Milliarden Euro kosten. Damit könnte eine strategische Schlüsseltechnologie zukünftig für Deutschland und Europa gesichert werden.
Hier käme nicht nur die Expertise des Maschinenbaus und der Produktionswissenschaften mit ins Spiel. Sondern auch andere Forscherinnen und Forscher der RWTH, die zu dieser Innovation eigene, ebenso wichtige Innovationen hinzufügen könnten. Ein Paradebeispiel für den integrativen interdisziplinären Spitzenforschungsansatz der RWTH.
Die Forschung der Professoren Rainer Waser, Max Lemme und Matthias Wuttig hat das Zeug, die IT zu revolutionieren: Sie könnte den Stromverbrauch der IT um über 90 Prozent senken und Rechner deutlich schneller und intelligenter machen – und zudem noch einen wertvollen Beitrag leisten zu den Grundlagen der Chemie (eine sechste, neue Verbindungsform von Elementen, sogenannte metavalente Bindungen) und der Werkstoffkunde (die neuen 2-D-Materialien, die nur eine Atomschicht dick sind).
Förderoptionen
Die gemeinsam benötigte Fördersumme für die Forschung der drei Wissenschaftler beträgt 30 Millionen Euro. Damit könnten die Kollegen einen entscheidenden ersten Schritt tun, um zu der genannten Forschungs-Foundry zu gelangen.
„Wir liefern die Grundlage für zukünftige Systeme der Künstlichen Intelligenz, die in alle Bereiche des Lebens eindringen wird. Dabei beachten wir die ethischen und sozialen Rahmenbedingungen unserer freiheitlichen Gesellschaft und ihrer Werte.“
Vita
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Max Christian Lemme
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Max Christian Lemme, geboren 1970, ist Inhaber des Lehrstuhls für Elektronische Bauelemente und wissenschaftlicher Direktor der AMO GmbH. Er hat nach der Promotion in Harvard geforscht und war Gast-Professor an der Königlich Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm. Er hat einen NanoFutur-Preis gewonnen und wurde von der Europäischen Union mit einem ERC Grant gefördert. 2019 hat er das Start-up Black Semiconductor GmbH mitgegründet. Sein Lehrstuhl ist Mitglied des Aachen Graphene & 2D Materials Center und Mitglied des SINANO-Instituts, einer gemeinnützigen Vereinigung, die als dauerhaftes EU-Netzwerk von Forschenden gegründet wurde.
„Wir wollen die Blaupause für die Entwicklung neuer Funktionsmaterialien wie zum Beispiel neuer Solarzellen liefern.“
Vita
Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Matthias Wuttig
Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Matthias Wuttig, geboren 1960, ist Inhaber des Lehrstuhls für Experimentalphysik I A und Leiter des I. Physikalischen Instituts I A sowie JARA-Professor am Forschungszentrum Jülich. Er hat nach der Promotion in Berkeley, Stanford, Shanghai, Singapur und bei den Bell Labs (Murray Hill) geforscht. Er leitet einen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG geförderten Sonderforschungsbereich über resistive Nanoschalter und wurde von der Europäischen Union mit einem ERC Advanced Grant gefördert.
„Wir wollen prädiktive Modelle für die Optimierung memristiver Bauelemente entwickeln und diese in komplexen Schaltungen verifizieren.“
Vita
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Rainer Waser
Univ-Prof. Dr.-Ing. Rainer Waser, geboren 1955, Lehrstuhlinhaber für Werkstoffe der Elektrotechnik II sowie Leiter des gleichnamigen Instituts und Leiter des Instituts für Elektronische Materialien am Peter Grünberg Institut (PGI) des Forschungszentrums Jülich. Er hat in Darmstadt in Physikalischer Chemie promoviert, arbeitete im Forschungslaboratorium der Philips GmbH in Aachen, wurde 1992 an die RWTH Aachen berufen und erhielt 2014 den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG für seine Arbeiten zur Aufklärung des Mechanismus memristiver oxidbasierter Speicherzellen.
Neuromorphe Hardware als Basis für KI
Künstliche Intelligenz wird in Zukunft alle Bereiche des täglichen Lebens beeinflussen: die Art, wie wir uns fortbewegen (autonom), wie wir leben (smart), wie wir arbeiten (digitaler) und auch unsere Gesundheitsversorgung (personalisiert). Im Zentrum der weiteren Entwicklung steht die notwendige neuromorphe Hardware auf Basis revolutionärer Chiptechnologie. Damit wird die Technologie für zukünftige europäische KI-Hardware entwickelt, um die technologische Souveränität Europas in diesem ethisch und wirtschaftlich sensiblen Bereich zu sichern.